Abwarten und Tee trinken

Titelbild: © lesterman – stock.adobe.com

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Verhalten im Börsensturm

Krieg und Börse

Mit der russischen Invasion der Ukraine wird nicht nur Geschichte, sondern auch Börsengeschichte geschrieben. Während sich die großen Medien aktuell auf die militärische und humanitäre Dimension der Ereignisse konzentrieren, wollen wir hier schwerpunktmäßig die wirtschaftliche Entwicklung und die Auswirkungen auf die Börsen beleuchten. Das mögen Sie bitte nicht als Kaltschnäuzigkeit missverstehen, aber wir sind nun einmal ein Anlegermagazin, das sich primär mit solchen Fragen beschäftigt. Dabei geben wir den Auswirkungen politischer Entwicklungen auch deshalb breiten Raum, weil Politik und Notenbankpolitik den Märkten in den letzten Jahren immer deutlicher ihren Stempel aufgedrückt haben. Krieg ist dabei die denkbar übergriffigste Form, die Politik annehmen kann. Wie es zu diesem Krieg gekommen ist, auf welche Weise er enden bzw. beendet werden könnte und wie die Welt – nicht nur die der Anleger – danach aussehen dürfte, werden wir im nächsten Smart Investor 4/2022 noch eingehender beleuchten.

Sturz ins Nichts

Die wesentlichen Antworten auf die Invasion sind eine Ächtung und Sanktionierung Russlands auf den verschiedensten Ebenen – Kultur, Sport, Wirtschaft, etc. Den größten Druck üben dabei die Wirtschaftssanktionen aus, was sich unmittelbar an der Kursentwicklung russischer Aktien oder des Rubels ablesen lässt. In beiden Bereichen sind die Einbrüche historisch zu nennen. Abb. 1 zeigt beispielhaft unseren Musterdepotwert Gazprom. Die Aktie ist seit heute vom Handel in Deutschland ausgesetzt. Die Aussetzung des Handels russischer Wertpapiere in der EU ist Teil eines Sanktionspakets. Auch in den USA wurde der Handel mit russischen Wertpapieren unterbrochen, die Moskauer Börse ist ebenfalls geschlossen. Zwar werden die ADRs des Gasgiganten auch heute noch am International Order Book (IOB) in London gehandelt, der Kurs lag allerdings gegen Mittag bei nur noch 0,019 USD (per Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 0,13 USD), nachdem die Aktien noch zu 0,72 USD eröffnet hatten. Gegenüber dem Vortag haben wir es im Tief also mit einem weiteren Kursverlust von mehr als 97% zu tun. Kein Wunder, denn an dieser Börse dürfen die (Privat?-)Anleger nur noch verkaufen („closing-only status“). Die Käufer, die es auch unter einer solchen Regel denknotwendig geben muss, könnten neben Brokern auch die Emittenten der ADRs selbst sein. Diese können nun buchstäblich für Cent-Beträge ihre Verpflichtungen glattstellen, während die Originalaktien erst einmal weiter in ihrem Bestand bleiben. Angesichts der hier bereits erlittenen Verluste sollte man wohl nicht versuchen, das buchstäblich letzte Prozent seines Engagements via London „retten“ zu wollen. Zu diesen Preisen sind russische ADRs Lotterielose, und zwar solche, die mit einem erheblichen Discount gehandelt werden. Wer immer in London – und offenbar gegenüber Kleinanlegern privilegiert – die Hand aufhält, tut das nicht aus „Solidarität mit der Ukraine“, sondern weil er ein herausragendes Geschäft wittert. Statt eines Ausverkaufs zu Tiefstkursen, sollte man hier also erst einmal Abwarten und Tee trinken.

Auf die Dosis kommt es an

Gazprom steht hier nur exemplarisch für alle russischen ADRs, die hinsichtlich Handelsaussetzung und der zwischenzeitlichen, nahezu vollständigen Abwertung ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Während bei den russischen Finanzinstituten auch das Kerngeschäft durch die Sanktionen hart getroffen ist – sieben russische Banken wurden zudem aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen – laufen bei Gazprom immerhin noch die Lieferbeziehungen – auch die in den Westen. Zudem verfügt der Konzern über ein Produkt, das bei jenen Ländern, die sich nicht an Sanktionen beteiligen, weiter guten Absatz finden wird. Der Umstand, dass bislang nicht alle russischen Banken von SWIFT ausgeschlossen wurden, signalisiert, dass abseits der medialen Hysterie die Sanktionen weiter dosiert erfolgen. Die Gratwanderung besteht darin, Entschlossenheit zu demonstrieren, ohne alle Türen endgültig zu schließen, und sich gleichzeitig auch noch Steigerungsmöglichkeiten vorzubehalten. Auch die Nebenbedingung, im Sanktionstaumel nicht auch noch die eigene Wirtschaft restlos zu ruinieren, sollte dabei wohl beachtet werden. Denn gerade um das Erdgas könnte sich die Sanktionsspirale nach dem Motto „Actio gleich Reactio“ rasch in eine Richtung weiterdrehen, die den Abnehmern mehr schadet als dem Lieferanten. Im Finanzsektor, ebenso wie beim Währungsverfall des Rubel (Abb. 2 – 100 RUB in USD) leidet zwar vor allem Russland, aber eben auch dessen Handelspartner.

Verflüchtigte Friedensdividende

Grundsätzlich gilt: Je freier der Handel, desto mehr Wohlstand wird erzeugt. Das Aufblühen des Freihandels nach dem Ende des Kalten Krieges war ein wesentlicher Teil der sogenannten Friedensdividende; der andere Teil war die Hoffnung auf ein Absinken der Rüstungsetats, die nun zugunsten produktiverer Zwecke freigesetzt werden könnten – eine Hoffnung freilich, die sich nur teilweise erfüllte, weil erstens manche Rüstungsetats – insbesondere der der USA – gar nicht abgeschmolzen sind und zweitens das freigewordene Geld nicht etwa durch Steuersenkungen an die Bürger gegeben wurde, sondern getreu dem „Warfare or Welfare“-Mantra von Big Government in den vergleichbar unproduktiven Wohlfahrtsstaat gepumpt wurde. Nun schmilzt die Friedensdividende ab, und die Folgen werden – so ehrlich ist die Politik immerhin – nicht nur in Russland zu spüren sein. Allerdings wird es mit der Ehrlichkeit auch nicht übertrieben: Wenn etwa die Inflationsrate von aktuell 5,1% als Kriegsfolge dargestellt wird, dann ist das nur ein klitzekleiner Teil der Wahrheit. Da die Inflation schon lange vor dem Ukraine-Krieg deutlich angestiegen war, klingt das eher so, als sei man froh, in der russischen Expansion den passenden Schuldigen für ein Phänomen gefunden zu haben, für das eigentlich die Geldmengenexpansion der EZB verantwortlich ist.

Falsche Beziehungen, schwache Kurse

Aus dem Vorgesagten sollte klar sein, dass es nicht nur in Russland Verlierer gibt, wenn der Freihandel durch externe Eingriffe gestört wird, der Wohlstand in der Folge also insgesamt sinkt. Börsenkurse, aka „die Märkte“ bilden das lediglich ab, indem sie versuchen, die jeweils vermuteten Auswirkungen einzupreisen. So wurden in der letzten Woche auch viele Unternehmen mit Russland- und/oder Ukraine-Bezug abgestraft. Manchmal genügte die bloße räumliche Nähe zum Krisenherd, manchmal waren es intensive Liefer- bzw. Kundenbeziehungen. Bei manchem Unternehmen wurde dem Markt auch erst nach einer entsprechenden Meldung bewusst, wie eng die Beziehungen in das Kriegsgebiet tatsächlich waren, etwa, weil ein Gutteil der Programmierer eines Softwarehauses seinen Dienst in der Ukraine versieht. Die Aktien, die auf diese Weise abgestraft wurden, sollten sich allerdings deutlich schneller erholen als jene russischen, auf denen zusätzlich der Bannstrahl der Sanktionen liegt.

Klassische Kriegsgewinnler

Natürlich gibt es in dieser Situation auch Gewinner: Das angekündigte 100-Mrd.-EUR-Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr ließ die Kurse von Aktien wie Rheinmetall und Hensoldt regelrecht explodieren. Was für die einen winkende Großaufträge sind, ist für den deutschen Steuerzahler ein weiterer Kostenblock – „Warfare and (!) Welfare“. Auch der Rüstungskonzern Saab gehört zu den großen Profiteuren des Krieges. Bemerkenswert ist das Anziehen der polnischen Kohlekonzerne Jastrzebska Spólka Weglowa und Lubelski Wegiel Bogdanka S.A. Der vielgeschmähte Klimakiller Kohle feierte angesichts der Sorgen um die Sicherheit der Energieversorgung ein fulminantes Börsen-Comeback, obwohl Polen als direkter Nachbar der Ukraine auch zu jenen Ländern gehört, in denen die Lasten des Krieges besonders zu spüren sind.

Zu den Märkten

Beim DAX wurde inzwischen ein erstes Kursziel auf dem Weg nach unten abgearbeitet. Die Marke von ca. 13.800 Punkten ergibt sich aus dem Konzept des „Measured Moves“, demzufolge der maximale Abstand von der Nackenlinie (vgl. Abb. 3, rote Waagrechte) einer Topformation nach unten abgetragen wird. Man kann sich darüber streiten, ob die Formation hier eher einer Schulter-Kopf-Schulter oder einem Doppel-Top ähnelt. Der Umstand, dass die beiden oberen senkrechten Abstände fast exakt gleich lang sind – diese markieren die Maximaldistanz zur Nackenlinie – lässt das Ganze aber eher als ein untypisches, fast schon verstecktes Doppel-Top erscheinen. Das Ergebnis bleibt jedoch gleich: Trägt man diese Entfernung an der Nackenlinie nach unten ab, dann kommt man auf die erwähnten 13.800 Punkte und damit ziemlich genau in jenen Bereich, in dem sich der Kursabschwung etwas verlangsamt hat. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich dabei um ein erstes Kursziel handelt. Es ist also möglich, dass wir hier nach einem Zwischenaufenthalt wieder Fahrt nach unten aufnehmen. In welche Richtung sich der Markt weiterentwickelt dürfte kurzfristig aber nicht von der Charttechnik, sondern von den Neuigkeiten im Ukraine-Krieg abhängen.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über die Entwicklung in unserem Aktien-Musterdepot und in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen.

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Fazit

Der Krieg um die Ukraine ist in vollem Gang. Auch an den Märkten wurden die Karten neu gemischt. Angesichts der hohen Volatilitäten sollten große Wetten im Moment aber vermieden werden.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

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Die Charts wurden erstellt mit TradeSignal von www.tradesignal.de und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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