Der Dammbruch

Titelbild: © Frank Wagner – stock.adobe.com

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Alle 30 Jahre wieder

Heute vor drei Jahrzehnten

Fast auf den Tag genau 30 Jahre ist es her, dass das britische Pfund das Europäische Währungssystem (EWS) verlassen musste, nachdem sich die Bank of England zuvor noch verzweifelt gegen das bröckelnde Pfund gestemmt hatte. Die Notwendigkeit zur Stabilisierung ergab sich aus der Verpflichtung der EWS-Teilnehmerländer ihre Währungen in einem Korridor zum DM-Referenzkurs zu halten – beim Pfund waren dies +/-6%. In solchen Konstruktionen verstecken sich gleich zwei Probleme. Zum einen sind sowohl der Referenzkurs als auch der Korridor willkürliche Festlegungen, die auf einem bloß angemaßten Wissen beruhen und allenfalls rein zufällig zur Zukunft passen. Dieses Thema zeigte sich beim Pfund sogar besonders deutlich, dessen Kurs die Briten beim Beitritt am 8.10.1990 aus Prestigegründen einseitig auf 2,95 DM festgelegt hatten – entgegen den Warnungen des damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl. Das zweite Problem folgte nach nicht einmal zwei Jahren auf dem Fuße: Die Bank of England musste massiv intervenieren, um das Pfund innerhalb dieses Korridors zu halten. Trotz der damals gemachten Erfahrungen sehen wir beim Euro die gleichen Probleme. Eine willkürliche Fixierung von Wechselkursen, die nur durch massive Interventionen aufrechterhalten werden kann, wobei die Art der Intervention heute eine andere ist.


„Schwarzer Mittwoch“

Entscheidend ist das dritte Problem, das eigentlich die Lösung ist: Die Spekulation erfasst einen unhaltbaren Zustand und wettet so lange dagegen, bis sich dieser Zustand wieder auflöst. Beim britischen Pfund war es damals am 16.9.1992, dem „Schwarzen Mittwoch“ so weit. Trotz milliardenschwerer Interventionen der Bank of England wurde das Pfund nach unten aus dem Korridor herausgedrückt und musste das EWS verlassen. Eng mit dieser Episode verbunden ist der Name George Soros, der der prominenteste Gegenspieler der englischen Notenbanker, der für das „Knacken“ der Bank of England unter Börsianern lange Zeit Kultstatus genoss. Ob er allerdings wirklich an einem Tag eine Milliarde verdiente, wie lange Zeit kolportiert wurde, wird inzwischen bezweifelt – viele hundert Millionen waren es aber dennoch.

… und wieder ein Mittwoch im September

Blicken wir 30 Jahre nach vorne. Es ist wieder September und es ist wieder Mittwoch. Am 28.9. sah sich die Bank of England genötigt, die Reißleine zu ziehen. Damit stieg sie aus einer Politik aus, die derzeit weltweit mehr oder weniger stark unter dem Titel „Quantitative Tightening“ (QT) verfolgt wird. Vorangegangen war eine ungeschickte Kommunikation des neuen britischen Wirtschaftskurses durch die frisch gebackene Premierministerin Liz Truss. Dies hatten die Märkte zum Anlass für einen wahren Abverkauf langlaufender britischer Staatsanleihen genommen. Dabei kamen auch Pensionskassen in Schieflage, die sich in Derivaten verzockt hatten. Pikanterweise nutzte auch der Pensionsfonds der Bank of England selbst diese Instrumente. Letztlich war aber auch hier nicht die Spekulation die tiefere Ursache des Beinahe-Lehman-Moments, sie machte die Problemlage lediglich sichtbar. Denn die Austrians unter den Ökonomen hatten schon lange gewarnt, dass die ultralockere Geldpolitik der vergangenen Jahre und die dadurch beförderte Verschuldungsorgie einen Preis haben würden, einen hohen Preis. Hören wollte das kaum jemand.

„vorübergehend und gezielt“

Nun kündigte die Bank of England eine 180-Grad-Kehrtwende an. Aus QT wird wieder QE (= Quantitative Easing). Die Käufe langlaufender britischer Staatsanleihen wurden in einem Statement des Financial Policy Committee als „temporary and targeted“ („vorübergehend und gezielt“) bezeichnet und sollen bereits am 14. Oktober enden. Dass die Politik und die Geldpolitik in Fiatgeldsystemen mitunter grandioser Lügen bedürfen, ist spätestens seit der „vorübergehenden“ Schließung des Goldfensters, also der Suspendierung der Umtauschpflicht von US-Dollar in Gold, im August 1971 durch Richard „Tricky Dick“ Nixon bekannt. Seitdem sind mehr als 51 Jahre verstrichen. Allerdings wollen wir heute nicht nur in die Vergangenheit zurückschauen. Was also bedeutet die erneute Niederlage der Bank of England?

Kickstart für den Crack-up-Boom?

Die Hauruck-Aktion löste mit einiger Zeitverzögerung eine komplette Wahrnehmungsänderung an den Märkten aus. Wenn, so die neue Arbeitshypothese, die Notenbanken den Kampf gegen die Inflation verlieren bzw. aufgeben müssen, dann sind Sachwerte wieder das Gebot der Stunde. Prognosen sind hier allerdings auch deshalb so schwierig, weil es sich nicht um natürliche Verschiebungen von Angebot und Nachfrage handelt, sondern um punktuelle Eingriffe. Alle Sachwertmärkte hängen vor allem an der Liquidität, die von den Notenbanken entweder zur Verfügung gestellt oder aber entzogen wird. Technische und fundamentale Überlegungen treten da zwangsläufig in den Hintergrund. Notenbank-Astrologen sind inzwischen wieder ebenso gefragt wie Kreml-Astrologen. Denn es liegt an einigen wenigen Köpfen, ob die Volkswirtschaften in Richtung Stagflation, Rezession und Depression gesteuert werden, oder ob schon jetzt das große Finale in Form eines Crack-up-Booms startet. Kommen wird letzterer auf jeden Fall, denn noch nie ist ein System beliebig vermehrbaren Geldes auf Dauer stabil geblieben oder gar in der Deflation verdorrt.

Brodelnde Gerüchteküche

Bislang sind es zwar nur die Briten, die die Zügel „vorübergehend“ gelockert haben, aber die Marktteilnehmer haben genügend Erfahrung mit Notenbankverlautbarungen, um zwischen den Zeilen das Potenzial herauszulesen, das sich daraus ergibt. Ein weiterer Mosaikstein sind immer wieder aufflackernde Gerüchte über Schieflagen bei Großbanken. Namentlich der Abverkauf der Aktien der Schweizer Credit Suisse Group lässt die Gerüchteküche brodeln und hat es sogar in die Schlagzeilen der BILD-Onlineausgabe geschafft. In Anspielung auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers wird sogar schon von einem Lehman-Moment gesprochen. Zumindest das zeigt etwas Galgenhumor, denn seit diesem Jahr heißt der Präsident der Großbank tatsächlich Alex P. Lehmann. Zwar zeichnet sich diese Woche eine Stabilisierung ab, das alte Banker-Bonmot hat jedoch noch immer seine Gültigkeit – immer im Gespräch bleiben, aber nie ins Gerede kommen.

Knüppel zwischen die Beine der Silberfans

Es scheint, als leisteten auch die abrupten Politikwechsel ihren Beitrag dazu, dass sich in den komplexen Bilanzen der Finanzindustrie Risiken ganz eigener Art materialisieren. Insofern ist das Kursverhalten der Gold- und Silberminen interessant, deren Kurse sich nach einem langen und zähen Abwärtsgang seit letzter Woche sprunghaft erhöht haben. Schließlich repräsentieren die Edelmetalle Sachwerte, die nur gering mit konjunkturellen Schwankungen korrelieren und in physischer Form frei von Gegenparteirisiken sind. In einer Fiatwelt stellen sie so etwas wie den ultimativen sicheren Hafen dar und dürften angesichts der jüngsten Kurskapriolen für eine zunehmende Zahl von Anlegern wieder attraktiver werden.

Verwirrung gibt es jedoch aktuell um ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums an die obersten Finanzbehörden der Länder. Demnach wäre mit Datum des Schreibens vom vergangenen Freitag handstreichartig die Differenzbesteuerung für Silbermünzen aus dem EU-Ausland abgeschafft worden. Die Händler haben bereits reagiert und die differenzbesteuerten Silberlinge aus dem Programm genommen. 

Alte Liebe rostet nicht

Immer für eine Überraschung gut ist Tesla-Chef Elon Musk – dieses Mal allerdings nicht als E-Auto-Unternehmer, sondern als Twitter-Interessent. Die Alte Liebe zum Kurznachrichtendienst scheint noch nicht eingerostet zu sein. Die erneut bekundeten Kaufabsichten stellt faz.net unter den etwas windschiefen Titel „Elon Musk kapituliert“. Die Aussage dahinter ist, dass Musk Twitter im Wesentlichen deshalb zum ursprünglich vereinbarten Preis von 54,20 USD je Aktie kaufen will, um ein anstehendes Gerichtsverfahren zu vermeiden. Mag sein, dass dies eine Rolle spielt, denn der enge zeitliche Zusammenhang zu dem Gerichtsverfahren, das in zwei Wochen beginnen soll, ist unübersehbar. Allerdings gibt es noch einen weiteren engen zeitlichen Zusammenhang, den man auch nicht völlig übersehen sollte: Im November finden in den USA die Zwischenwahlen statt, die entscheidend für die nächsten beiden Amtsjahre von US-Präsident Biden sein werden. Musk hatte schon häufiger Sympathien für Biden-Amtsvorgänger Trump durchblicken lassen, der auch als Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 gehandelt wird. Social Media, und dazu gehört ganz zentral Twitter, wird auch in diesem Wahlkampf eine Schlüsselrolle spielen.

Zu den Märkten

Das Unterschreiten der wichtigen Unterstützungszone bei 12.400 DAX-Punkten konnte charttechnisch als Indikation für weiter sinkende Kurse gelesen werden. Allerdings erwies sich diese markante Bewegung als Fehlsignal. In den letzten beiden Handelssitzungen schoss der Markt förmlich nach oben und stellte damit die ursprüngliche Aussage des Durchbruchs auf den Kopf. Die Rückeroberung unter ordentlichen, wenn auch nicht gigantischen Umsätzen, ist eindeutig positiv zu bewerten. Allerdings muss man sich fragen, welchen Charakter diese Bewegung im größeren Zusammenhang einnimmt. Trendwende oder Bärenmarktrally? Für eine Bärenmarktrally spricht vor allem, dass sich der DAX40 weiter unterhalb der fallenden 200-Tage-Linie und unterhalb einer wichtigen Abwärtstrendlinie bewegt. Es kommt also auch auf die Lage an, in der sich ein bestimmtes Kursgeschehen zeigt. Zum anderen haben wir vor dem jüngsten Aufschwung keinen dramatischen Sell-Off gesehen. Verglichen mit den bedeutsamen Tiefs der letzten Jahre erscheint die übergeordnete Abwärtsbewegung des DAX noch nicht abgeschlossen zu sein. Obwohl auch echte Trendwenden häufig mit Bärenmarktrallys beginnen, ist zunächst nur die Entlastungsreaktion gesetzt, die sich bereits in der Vorwoche andeutete.


Tagungen und Messen im Herbst

Roadshow „Wissen sichert Vermögen“

Am 15.10. macht die Roadshow „Wissen sichert Vermögen“ im Großraum Frankfurt Station, genauer gesagt in Eppstein-Bremthal. Referenten werden unter anderem der als „Silberjunge“ bekannte Buchautor und Redner Thorsten Schulte, der Finanzexperte Josef Schöftenhuber und der Metallexperte Tino Leukhardt sein. Auf der Website des Anbieters können Sie sich für Ihre kostenlose Teilnahme registrieren.

WatchTime Düsseldorf – exklusives Angebot

Heute können wir Uhrenliebhabern unter unseren Lesern ein besonderes Angebot machen. Wir verlosen zehn Eintrittskarten für den exklusiven Eröffnungsabend der WatchTime Düsseldorf am 27. Oktober 2022 in der Rheinterrasse Düsseldorf. Was Sie dafür tun müssen? Senden Sie eine Mail mit dem Stichwort „WatchTime“ an abo@smartinvestor.de und wir drücken Ihnen die Daumen, dass Sie zu den zehn Glücklichen gehören. Für einen regulären Besuch der WatchTime sind zudem noch wenige kostenlose Tickets für unsere Leser verfügbar. Gehen Sie hierzu auf die Webseite des Veranstalters und klicken Sie oben links auf „Werbecode eingeben“. Geben Sie dort den Promocode SmartInvestorxWatchtime ein und suchen Sie sich ein Tagesticket aus. Der Preis reduziert sich auf 0,00 Euro. Klicken Sie auf „Kasse“ und fahren Sie mit Ihrer Bestellung fort.

Auf kaiserliche & köngliche Art

Wer einmal das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden will, dem sei die erste „k.u.k. Anlegertagung im schönen Budapest empfohlen. Am 29.10. veranstaltet das Institut für Austrian Asset Management (IfAAM) diese ganz besondere Tagung unter dem Motto „Go east! – Kapitalschutzstrategien für die Zeitenwende“. Zu den Referenten werden unter anderem Goldexperte Dimitri Speck, der Anlageexperte Dr. Markus Elsässer und Degussa-Chef Dr. Markus Krall gehören. Auch Christoph Heuermann, einer der besten Experten in Sachen Auswandern, wird vor Ort sein. Auf jeden Fall sollten Sie etwas mehr Zeit im „Paris des Ostens“ einplanen, um sich von dieser ganz besonderen Stadt verzaubern zu lassen. Nähere Informationen zu dieser außergewöhnlichen Anlegertagung finden Sie auf der Website des Instituts für Austrian Asset Management IfAAM.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über die neuesten Transaktionen und über die Entwicklung in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.

Fazit

30 Jahre nach dem spektakulären Austritt des britischen Pfunds aus dem Europäischen Währungssystem sorgt die Bank of England erneut für Aufsehen. Der exponentielle Renditeanstieg bei den Gilts zwang sie, erneut langlaufende britische Staatsanleihen aufzukaufen – „vorübergehend“ versteht sich.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

Smart Investor 10/2022:

Titelstory: Immobilien – Bröckelndes Betongold

Energiepolitik: Droht Deutschland ein Horrorwinter?

Work-Life-Balance: Im hohen Norden winkt das Glück

Düngermarkt: Auch der Boden will gefüttert sein

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Die Charts wurden erstellt mit Guidants und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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