Viele Verlierer und ein paar Gewinner

Titelbild: © guteksk7 – stock.adobe.com

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Ukraine-Krise: Nach dem Kursrutsch

Nachhall der Geschichte

Putin lässt in die Ukraine einmarschieren, nennt es aber nicht so. Nach seiner Lesart handelt es sich um eine Friedensmission in den – wiederum nach seiner Lesart – unabhängigen Republiken in Lugansk und Donezk. Das ist eine bauernschlaue, aber durchsichtige Konstruktion, die nicht von ungefähr an die früheren Hilferufe sozialistischer Bruderstaaten erinnert. Auch die ehemalige Sowjetunion leistete nur allzu gern Folge – auch damals schon mit Panzern. Tradition verpflichtet?! Ebenfalls offensichtlich ist die beständige Ausweitung der NATO in Richtung Osten. Auch dieser Vergleich mag hinken, aber das Ganze erinnert an eine weitere historische Begebenheit: Als die Sowjets einst Raketen vor der Haustür der USA in Kuba stationierten, nahmen diese den Dritten Weltkrieg in Kauf, um die Russen zum Abzug zu bewegen. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich. Schließlich sollte man nicht ganz aus den Augen verlieren, dass die Ukraine – das haben die Wahlergebnisse der letzten Jahre gezeigt – tatsächlich ein tief gespaltenes Land ist, mit einer tendenziell pro-russischen Bevölkerung im Osten und einer tendenziell pro-westlichen Bevölkerung in der Hauptstadt Kiew und im Westteil.

Schrecksekunde

Die russische Aggression erschreckte jedenfalls nicht nur die Menschen. Die Börsen taumelten, fingen sich wieder, sind aber jederzeit erneut zu verunsichern. Ist damit alles eingepreist? Eher nicht, denn die Situation ist im Fluss und kann stündlich eskalieren, falls eine der beiden Seiten die Nerven verliert. Im Wesentlichen sehen wir folgende Tendenzen: Verlierer sind die Menschen – die im Westen und die im Osten. Die Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Kriegs scheint sich nun vollends zu verflüchtigen. Auch Putin wird ein Verlierer sein (s.u.). Denn ganz so „genial“ und „ausgebufft“, wie der ehemalige US-Präsident Trump zuletzt kommentierte, war die Aktion wohl nicht. In langen Jahren hatte Putin immer wieder, und durchaus mit gewissen Erfolgen, um Sympathien im Westen geworben. Nach dieser Aktion sind diese Annäherungsversuche endgültig gescheitert. Was für Moskau bleibt, ist die Rolle eines chinesischen Juniorpartners. Peking ist der lachende Dritte, nicht nur, weil die Aufmerksamkeit der USA nun in der Ukraine gebunden wird, sondern auch, weil russisches Gas und andere Rohstoffe ihren Weg vermehrt nach China finden werden.

Effizienz, nicht Moral

Falls sie die richtigen Schlüsse ziehen, können Börsianer durchaus zu Profiteuren der Situation werden. Das klingt nach dem etwas abgeschmackten Klischee vom Spekulanten als Krisengewinnler. Eine solche Perspektive verkennt, dass es in Umbruchsphasen auch massenhaft Verlierer gibt. Und wichtiger noch, sie wirft der Börse implizit das Versagen in einer moralischen Funktion vor, die sie gar nicht hat. Die Märkte fällen kein Urteil darüber, was gut oder wünschenswert ist oder welche Partei in einem Konflikt, aus welchen Gründen auch immer, siegen sollte. Ihre schlichte Aufgabe ist es, ein Marktplatz zu sein, auf dem das Angebot und die Nachfrage für Aktien, Rohstoffe, Anleihen und Devisen reibungslos zum Ausgleich gebracht werden. Erfolgreiche Teilnehmer dieser Veranstaltung zeichnen sich daher nicht durch eine höhere Moral aus, sondern dadurch, dass sie früher erkennen, was die Märkte erst nach und nach einpreisen. Entsprechend ist es eine naive Haltung, an der Börse mit dem eigenen Geld Politik machen zu wollen. Die Welt, in der wir leben, ist kein Wunschkonzert, die Börse schon gar nicht.

„Starker Putin, weicher Westen“

Warum wird Putin am Ende als Verlierer dastehen? Das gängige Narrativ lautet in etwa so: Der Westen ist verweichlicht, die NATO ist Russland zu dicht auf die Pelle gerückt und Präsident Putin hat die nötige Macht, um nun einen Pflock einzuschlagen. Schlimmstenfalls werde er sich die Ukraine sogar komplett einverleiben. Warum? Weil er es kann! Teile dieses Narrativs mögen durchaus stimmen, aber sie gehen am Kern der Sache vorbei. Die Märkte aber versuchen die wesentlichen Elemente der Zukunft zu diskontieren – die kursbestimmenden Faktoren, wenn man so will. Und es sind nicht nur die nun sehr realen Verschärfungen der Sanktionen, welche die Kurse an der Moskauer Börse nach unten treiben (vgl. dazu auch den brandneuen Smart Investor 3/2022, der zum Wochenende erscheint), es sind auch die Aussichten der russischen Volkswirtschaft.

Drei Kernprobleme

Nach dieser Krise wird Russland schwächer dastehen als zuvor. In drei wesentlichen Bestimmungsfaktoren ist das Land auf dem absteigenden Ast:
(1) Wirtschaft: Die Wirtschaft ist geplagt von Korruption und mangelnder Produktivität: Russlands jährliches Bruttoinlandsprodukt ist kleiner als das von Texas.
(2) Bevölkerung: Russlands Bevölkerung schrumpft. Die wichtige Alterskohorte der 20- bis 24jährigen umfasst gerade noch sieben Millionen Staatsbürger. Es fehlen Kinder, Konsumenten, Ingenieure und letztlich auch Soldaten.
(3) Kultur: Gegenüber seinen Nachbarländern verbreitet Russland Angst, statt diese für sich einzunehmen – mit Kultur, Wohlstand oder Marshall-Plänen. Die Zeit dafür war da, das Potential war da. Aber mit dem Einmarsch hat sich die kulturelle Option in Luft aufgelöst.

Deutschland und der DAX

Natürlich hat der russische Einmarsch Auswirkungen auf den DAX und auf Deutschland. Die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 wurde von Kanzler Scholz gerade gestoppt, vorerst. Die Sanktionen treffen auch börsennotierte Unternehmen: Henkel, Uniper, Beiersdorf oder Adidas sind beispielsweise kräftig in Russland engagiert. Entsprechend haben sich die Kurse der genannten Unternehmen in den letzten Wochen wenig erfreulich entwickelt, offensichtlich stießen aus Vorsicht Marktteilnehmer Aktien von Russland-affinen Konzernen ab. Allzu schwarz braucht man dennoch nicht zu sehen. Der deutsch-russische Warenhandel hatte 2021 einen Wert von rund 60 Mrd. EUR, das entspricht nur einem geringen einstelligen Prozentsatz des gesamten deutschen Warenaustauschs mit anderen Ländern. Die Unternehmer schauten zuletzt jedenfalls grundsätzlich wieder positiver in die Zukunft: Der gerade veröffentlichte ifo-Geschäftsklimaindex stieg den zweiten Monat in Folge. Ob das so bleibt?!

Mehr Staat, mehr Inflation

Neben der psychologischen Belastung durch Schlagzeilen über einen „Krieg in Europa“ stellen die weiter steigenden Energiepreise eine echte Hypothek für Wirtschaft und Verbraucher dar. Der frühere russische (Interims-)Präsident Medwedew „prognostizierte“ einen – bzw. drohte mit einem – Gaspreis von 2.000 EUR pro 1.000 Kubikmeter Gas in Europa. Das wäre vom aktuellen Niveau noch einmal mehr als eine Verdopplung. Natürlich wären dann gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die einkommensschwachen Haushalte zu erwarten. So könnten jene Teile der energieintensiven Industrie, die auf auskömmliche Gaspreise angewiesen sind, auf staatliche Unterstützung drängen, oder endgültig aus Deutschland abwandern. Für die Haushalte dürfte es weitere Transferleistungen des Staates geben, die entweder durch höhere Steuern oder durch eine höhere Verschuldung finanziert werden. In jedem Fall würde die Staatsquote weiter steigen, die Inflation sowieso.

In der Zwickmühle

Auch in den USA, wo Fed-Chef Jerome Powell – im Gegensatz zu seinem EU-Pendant Christine Lagarde – die Herausforderung durch die Inflation zumindest angenommen hat, steht die Geldpolitik vor einem Spagat. Die Ukraine-Krise, namentlich die vom Westen verhängten Sanktionen, werden die Energiepreise, und damit die bereits hohe Inflation noch weiter anheizen. Ein simples Drehen an der Zinsschraube wird das Problem nicht lösen, denn dieser Preisschock ist nicht bzw. nicht nur durch das billige Geld auf der Nachfrageseite induziert, sondern zusätzlich auch noch durch Störungen auf der Angebotsseite. Sollte in dieser Situation mit einer straffen Geldpolitik gegengesteuert werden, wäre die Stagflation, also ein Abwürgen der Wirtschaft – und der Aktienkurse – bei anhaltend hoher Inflation fast schon garantiert. Powell – und auch Lagarde – sitzen in der Zwickmühle, und da haben wir von der Verschuldungssituation ausnahmsweise noch gar nicht gesprochen.

Russische Kapitalanlagen

Besonders gefährdet sind auch die Anleger in russischen Anleihen und Aktien. Ein Blick auf die Gazprom-Aktie genügt (vgl. Abb.). Der russische Erdgasmulti ist in vielfältiger Weise von der krisenhaften Zuspitzung betroffen. Zum einen ließ Bundeskanzler Scholz das Zertifizierungsverfahren der Nord Stream 2 Pipeline aussetzen, was nichts anderes als das vorläufige Aus bedeutet. Nach den Milliardeninvestitionen in das Projekt wäre dies ein herber Rückschlag für das Unternehmen. Zum anderen leidet Gazprom unter weiteren Sanktionsdrohungen, die die Moskauer Börse bereits schwer unter Druck gebracht haben. Bislang wurde zwar nur fünf kleineren russischen Banken der Zugang zum Finanzplatz London verwehrt, aber solche Maßnahmen könnten rasch ausgeweitet werden. Konkret werden im Moment ein Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System und ein Handelsverbot russischer Anleihen genannt. In Kraft gesetzt sind diese Maßnahmen zur Stunde allerdings noch nicht. Bei Gazprom könnte es im Fall der Fälle zu Problemen mit der Überweisung der hohen Dividende kommen. Eigentlich ist das Unternehmen ein echter Dividendenkracher und Dividendenaktien sind auch das Titelthema des neuen Smart Investor 3/2022 „Aus Zeit wird Geld – Die Dividendensaison ist eröffnet!“. Schließlich besteht bei der Verbriefung der Originalaktien in ADRs bzw. GDRs, also in, von Auslandsbanken gesponsorten Papieren, eine weitere Sollbruchstelle solcher Investments. Der Absturz der russischen Staatsanleihen ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, würde er es Russland doch erlauben, eigene Anleihen vor Endfälligkeit mit Abschlag einzusammeln. Die weitere Entwicklung bei russischen Anleihen und Aktien wird uns sicher noch einige Wochen beschäftigen, wie auch aktuelle Leserbriefe zeigen.

Zu den Märkten

Beim DAX ist im Zuge der Verschärfung der Ukraine-Krise passiert, was seit Wochen in der Luft lag. Die wichtige Unterstützung bei 15.000 Punkten (vgl. Abb., rote Linie) wurde kraftvoll und dynamisch nach unten durchbrochen. Aktuell läuft die Pull-back-Bewegung an dieses Ausbruchsniveau. Sollte das Ausbruchsniveau nicht zurückerobert werden können, dann sind weitere Kursrückgänge zu erwarten. Schon seit knapp einem Jahr verharrte der DAX zwar in der Nähe seiner Allzeithochs kam aber nicht mehr nennenswert voran. Jedem Ausbruchsversuch folgte ein Rückschlag in den Bereich von 15.000 Punkten. Insgesamt wirkt das ganze Kursgeschehen seit Ende März 2021 wie eine große Topp-Bildung. Auch aus diesem Blickwinkel wären zunächst weitere Kursrückgänge zu erwarten. Mehr zu den Gipfelformationen bei MDAX und TecDAX finden Sie auch im neuen Smart Investor 3/2022.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über die Entwicklung in unserem Aktien-Musterdepot und in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen.

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Fazit

Die Diplomatie hat versagt und Russland hat in der Ukraine Fakten geschaffen. Die relative Schwäche der russischen Börse zeigt klar, wer der Hauptverlierer dieser Entwicklung ist, aber auch die anderen Märkte wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Frank Sauerland, Ralph Malisch

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Die Charts wurden erstellt mit TradeSignal von www.tradesignal.de und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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