Deutschland ist seiner Stärken ­beraubt worden

Thomas Käsdorf

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Kolumne III

Gastbeitrag von Thomas Käsdorf, Plutos Vermögensverwaltung AG

Das Goldilocks-Szenario an den Börsen ist Vergangenheit. Anleger müssen sich den neuen Verwerfungen stellen, die das Jahr 2022 mit sich bringt. Dabei schwelen vorangegangene Probleme wie die COVID-Krise, Lieferkettenproblematik oder Fachkräftemangel weiter oder werden noch verschärft. Zu der im wahrsten Sinne ex­plosiven Mischung zählen der Krieg in der Ukraine und die daraus folgenden Sanktionen gegen Russland, die mehr der EU und Deutschland schaden als dem eigentlichen Adressaten. Wir sind mit Energieknappheit und als Folge explodierenden Rohstoffpreisen konfrontiert, vor allem bei Öl und Gas. Das hat die Inflation ­deutlich angeschoben, worauf die Notenbanken mit Zinserhöhungen reagieren. Hinzu kommen noch Rezessionsängste. Kein ­Wunder also, dass das erste Halbjahr an den ­Börsen eines der schwächsten seit Langem war.

Fokus Notenbanken
Mit Blick auf die Zinserhöhungen kann die EZB im Vergleich mit der Fed nicht mithal­ten, weil sie Rücksicht auf die schwachen südeuropäischen Länder nehmen muss. Der Euro kommt dadurch stark unter Druck. Zusätzlichen Gegenwind für die Gemeinschaftswährung gibt es durch den schwächelnden deutschen Export, sodass Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit ein Leistungsbilanzdefizit verbuchen muss. Der schwache Euro wird vor allem über die Rohstoffimporte die Inflation wei­ter anheizen. Möglicherweise ist die EZB dadurch im Laufe des Herbsts ­gezwungen, die Zinsen doch stärker anzuheben als bislang in Aussicht gestellt. Dann steht eine Konstellation aus anziehenden Zinsen in Europa, einer Rezession und einer schwachen Währung auf der Agenda. Die USA haben dagegen das Ruder früher herumge­rissen und mit kräftigen ­Leitzinserhöhungen reagiert. Die Folgen werden bei der Euro­schwäche sichtbar.

Vorteil USA
Nach dem verlustreichen ersten Halbjahr war die Erholung außerhalb Deutschlands am stärksten. Das ist die Konsequenz daraus, dass wir hierzulande durch das gesamte Umfeld extrem leiden. Ich sehe in der Politik nicht die Fähigkeit oder den Willen, dagegenzuhalten. US-Konzerne sind in der aktuellen Gemengelage ­deutlich besser aufgestellt als ihre Pendants aus der Eurozone. Cashflowstarke Unternehmen mit soliden Bilanzen, gutem Management und attraktiven Dividenden bleiben weiter­hin erste Wahl. Gute Chancen sehe ich auch in ausgewählten Technologietiteln, die eine starke Marktstellung vorweisen können und zum Teil stark korrigiert ­haben, oder den cashflowstarken großen Playern. US-Biotechnologieaktien werden nach starken Rückgängen und einer Bodenbildung mit vereinzelten Ausbrüchen nach oben zunehmend interessant. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte die Erholungsphase an den Aktienmärkten dem Ende entgegengehen, ab September sollten Anleger mit fallenden Indizes rechnen. Wie es danach weitergeht, bleibt abzuwarten. Eine wichtige Frage wird dabei sein, ob China die Konjunktur zum Laufen bringt. Im Herbst werden wir sehen, ob die Notenbanken die Zinsen weiter erhöhen oder ob sie zurückrudern müssen. Letzteres ­wäre wahrscheinlich ein positives Signal für die Edelmetalle. Erfahrungsgemäß könnte der Goldpreis vorab noch einmal deutlich zur Schwäche neigen. Anschließend sollte es allerdings in die andere Richtung gehen. Eine solche Entwicklung war häufig vor großen Bullenmärkten zu beobachten.

Thomas Käsdorf ist Mitgründer der Plutos Vermögensverwaltung AG (www.plutos.de) und war 25 Jahre im Vorstand der Gesell­schaft. Seit 2019 konzentriert er sich ausschließlich auf das Fondsmanagement. Er verfügt über mehr als 40 Jahre Erfahrung an den Wertpapier­- und Aktienmärkten. Käsdorf ist seit 19 Jahren Manager des Plutos International Fund und seit 2008 des Mischfonds Plutos Multi ­Chance Fund (WKN: A0NG24). Im Jahr 2018 fusionierten die beiden Fonds zu dem vielfach ausgezeichneten Plutos Multi Chance Fund. Käsdorf ist seit 1994 als unabhängiger Vermögensverwalter tätig.

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