Kolumne
Gastbeitrag von Felix Schleicher, VAA Value Advisors
2022 erweist sich als das schwierigste Anlagejahr seit Langem. Selbst alte Hasen können sich nicht an eine derartige Häufung von Widrigkeiten an den Finanzmärkten erinnern. Mir kommt daher häufig mein Mentor André Kostolany in den Sinn, den ich während meiner Zeit bei der FIDUKA-Depotverwaltung bis zu seinem Tod im September 1999 noch fast zehn Jahre lang erleben durfte. Obwohl überwiegend wohnhaft in Paris, verbrachte Kosto auch viel Zeit in München. Als Mitgründer der Fiduka war er unsere Galionsfigur und hatte ein kleines Zimmer im Büro der Firma. Oft besuchte ich ihn dort und stets fragte er mich dann: „Schleicher, was gibt’s Neies an der Börs?“ Während er auf seinem Sofa thronte, saß ich stundenlang auf dem Teppichboden und fragte ihn nach seiner Meinung zu den verschiedensten Themen. Wir verstanden uns prima, vielleicht auch weil ich gebürtiger Bamberger bin und Kosto in Budapest ein Kindermädchen aus Bamberg hatte.
Fragen wir Kostolany
Was hätte Kostolany wohl Anfang 2022 geraten? Zweifellos hätte er vor den Exzessen bei den Kryptowährungen gewarnt. Von Anleihen hätte er angesichts der Negativzinsen vehement abgeraten, bei den Technologieaktien Parallelen zu der Situation Ende der Neunziger gezogen. Dem seinerzeit extrem populären Neuen Markt prophezeite er ein Blutbad, und so kam es dann auch. Aber er wäre auch offen gewesen für Anlagechancen. Eine BASF mit 9% Dividende hätte Kostolany ebenso wenig verschmäht wie eine FedEx mit einem Zehner-KGV oder eine CK Hutchison 70% unter Buchwert. Die schlechte Stimmung unter den Anlegern im September hätte er sicherlich als Gelegenheit gesehen, auf Schnäppchenjagd zu gehen. Antizyklisches Investieren war ihm auf den Leib geschneidert, aber er hat auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen. Oft dauert es eben ziemlich lange, bis eine Anlage sich wie gewünscht entwickelt. Kein Wunder, dass Kosto von seinen berühmten „vier G“ – Geld, Gedanken, Geduld und Glück – vor allem die Geduld betonte. Und diese scheint vielen Investoren in der heutigen, schnelllebigen Zeit abhandengekommen zu sein.
Schmerzensgeld
Hohe Qualität zu einem niedrigen Preis zu kaufen ist bekanntlich kein Hexenwerk. Die konsequente Umsetzung ist aber keineswegs einfach. Laut Kosto ist an der Börse verdientes Geld daher Schmerzensgeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld … In diesem Sinne haben wir unsere Strategie auf lange Sicht auf erstklassigen Aktien wie BASF, Samsung Electronics, FedEx, Taiwan Semiconductor, EXOR und vielen mehr aufgebaut. Meine wichtigste Empfehlung lautet, mal wieder ein Buch von Kostolany zu lesen. Er hatte die Gabe, sehr kurzweilig und anekdotenreich zu schreiben. Mein Lieblingsbuch von ihm ist „Wunderland von Geld und Börse“. Wenn ich in seinen Werken schmökere, wird Kosto wieder lebendig, und ich bin dankbar, dass ich ihn so gut kennenlernen durfte. Er war ein echter Börsianer, wie es wohl nur wenige gegeben hat.

In der Mitte der Autor des Artikels in grenzwertigem Outfit neben André Kostolany anlässlich dessen 90. Geburtstags im Jahr 1996