Westliche Staaten holen Industrien zurück, nur Deutschland ist in Gegenrichtung unterwegs
Abhängigkeiten reduzieren
In westlichen Ländern setzt ein Trend zur Re-Industrialisierung ein. Die gerade überwundene Pandemie und die aktuell wachsenden geopolitischen Spannungen haben staatlichen Entscheidern deutlich gemacht, dass ihre nationalen Wirtschaften sich zu abhängig gemacht haben von Zulieferungen aus fernen Ländern.
Für Privatanleger ist vor allem interessant, dass dies kein Trend sein wird, der nach einigen Monaten ausläuft. Es dauert Jahre, industrielles Know How zurückzugewinnen und Industriekapazitäten in westlichen Ländern wieder aufzubauen. Das sogenannte Homeshoring wird die Inflation treiben, da eine derzeit extrem arbeitsteilige und damit kostengünstige Produktion von Konsumgütern schwieriger wird. Dennoch ist der Trend unaufhaltsam.

US-Präsident Joe Biden besuchte im Dezember die TSMC-Halbleiterfabrik in Arizona, um zu signalisieren, wie zentral das Thema Homeshoring bzw. Nearshoring für die Führungsmacht des Westens ist. Die Regierung verabschiedete einen CHIPS and Science Act und einen Inflation Reduction Act. Beide Verordnungen versprechen Subventionen in Milliardenhöhe. Zugute kommen die Subventionen Halbleiterherstellern, die Fabriken in den USA errichten. Es wird Steuergutschriften geben für Elektroautos, die in den USA hergestellt werden, für Solarpanels aus den USA, Batterien aus den USA, etc.
Egal, ob dies- oder jenseits des Atlantiks, egal, ob es um die Versorgungssicherheit mit strategischen Gütern oder die dominante Klima-Agenda geht, die Staaten greifen immer tiefer in das Räderwerk der (Welt-)Wirtschaft ein. Wohlverstandsverluste sind dabei praktisch sicher, fraglich ist nur, wie groß diese ausfallen werden.

EU auf Linie
Auch in der Europäischen Union feiert die Industriepolitik alter Machart ein Comeback – freilich im grünen Gewand. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht vom Green Deal Industrial Plan, welcher Europa zur „Heimat sauberer Technologien” machen soll. Frankreichs Senat beschloss diese Woche den beschleunigten Bau von 14 weiteren Atomkraftwerken. Auch die deutsche Regierung weiß, was am besten für die Menschen ist – Ironie aus! –, bewegt sich aber konsequent in die Gegenrichtung. Fossile Kraftwerke sollen ebenso stillgelegt werden wie Atomkraftwerke. Die Industrie hat das Signal aus Berlin verstanden. Sie wandert ins Ausland ab, denn ohne zuverlässige und bezahlbare Energie macht der Standort Deutschland keinen Sinn.
„Wir sind in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte Matthias Zachert, Vorstandsvorsitzender des deutschen Chemieunternehmens Lanxess, gestern auf dem Welt-Wirtschaftsgipfel. Fast zeitgleich erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke, angesichts des „zweitdichtesten Straßennetzes weltweit“, der Klimakrise und der „Krise der Natur, des Artenaussterbens“ sehe sie keinen Grund, weitere Autobahnen zu planen …
Unabhängig davon wie Investoren den Trend zur Re-Industrialisierung rund um Deutschland herum für sich im Privaten werten: Auf professioneller Ebene entstehen Chancen. Wache Aktionäre können an neuen Produktions- und Lieferketten partizipieren. Auf börsennotierte Unternehmen wie Siemens, ABB, Rockwell Automation dürften gewaltige Aufträge zukommen. Auch Banken werden profitieren, der Wirtschaftsumbau braucht Kapital.
Verlierer werden Sparer und Rentner sein. Denn das von Staaten und Staatenverbünden dirigierte Entflechten des globalisierten Handels treibt die Inflation. Die Produktionsprozesse werden ausfallsicherer, aber auch teurer.

„Germans to the Front!“
Carl Röchling malte 1902 das Gemälde „The Germans to the front!”. Es transportiert eine Stimmung, die damals in Kreisen des Kaiserreichs herrschte. Man war stolz, von einer bedrängten Macht zur Kriegshilfe gerufen worden zu sein und würde es jetzt der Welt so richtig zeigen.
Thema und Stimmung sind 120 Jahre später erneut aktuell.
Kaisers Zeitgenossen verspürten beim Betrachten des Gemäldes ein erhebendes Gefühl. Man war wieder wer. Einige Jahre danach, die Hochinflation hatte das Bürgertum ruiniert, beschlichen Gemäldebetrachter erste dunkle Ahnungen. Zwei Weltkriege später dann verachteten Betrachter das Bild geradezu.
Offensichtlich ist dem Maler ein wirkliches Kunstwerk gelungen. Jede Epoche spiegelt frische Antworten. Nun scheint es Bundeskanzler Scholz zu inspirieren, der 14 deutsche Leopard-Panzer an die Ukraine liefern lassen will. Ob mit diesem symbolischen Akt die Büchse der Pandora geöffnet wird, muss die Zeit zeigen. Mit seinem gut sichtbaren Zögern hat der Kanzler zumindest ein wichtiges Signal gesendet: Deutschland will keine noch tiefere Verstrickung in den Ukrainekrieg als bisher schon.
Als Börsen-Newsletter müssen wir in diesem Zusammenhang auf die deutschen Rüstungsaktien Rheinmetall und Hensoldt hinweisen. Aufgrund des Ukraine-Krieges haben die Aktienkurse beider Unternehmen seit Ende Februar kräftig angezogen. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Kursgewinne ist gegeben, zumal bereits allen Ernstes die Umstellung des Landes auf „Kriegswirtschaft“ gefordert wurde. Langfristig jedoch wird es womöglich insbesondere Rheinmetall schwer haben aufgrund der restriktiven Rüstungsexportbestimmungen Deutschlands und wegen des Zögerns bei der Freigabe der Panzerlieferungen. So betrachtet können baldige Leopard-Lieferungen von Drittstaaten an die Ukraine auch einen Abschied von dem deutschen Panzermodell bedeuten; nachgekauft werden dann konkurrenzfähige Produkte zum Beispiel in den USA, in Großbritannien und Südkorea.

BASF, das Comeback-Kid
Die BASF-Tochter Wintershall Dea erklärte jetzt, sich vollständig aus Russland zurückziehen zu wollen. Man sei dort quasi enteignet worden. Eine Milliardensumme scheint verloren zu sein. Bei Bekanntwerden der Nachricht verschluckte sich der Kurs von BASF, verlor 6% — doch schon am Abend desselben Tages wurde die Aktie wieder hochgekauft.
Ein solches Kursverhalten beinhaltet eine wichtige Information für Anleger: Der Kurs könnte mittlerweile alle schlechten Nachrichten verarbeitet haben – zumindest die bekannten –, und von denen hatte BASF zuletzt einige zu verkraften: hohe Energiepreise, hohe Regelungsdichte, hohe Lohnkosten, zurückgenommene Gewinnschätzungen und eine mögliche Rezession.
Über Monate und Jahre spiegelte der Kurs die widrigen Umstände und auch Smart Investor wies im Spätsommer 2022 auf die Misere beim Ludwigshafener Chemieriesen hin. Mutige Anleger werden angesichts der Kurssignale jetzt auf eine Wende bei BASF setzen. Immerhin lockt der Zykliker mit einer Dividendenrendite von rund 7%. Der Joker könnten seine Handelsbeziehungen mit China sein. Auch das Reich der Mitte wird die Covid-Pandemie hinter sich lassen und dann potenziell einen (Nachhol-)Boom erleben. Das sind gute Aussichten für lukrative Chemiegeschäfte.

Musk in Bedrängnis
Das macht dem Milliardär und Ausnahmeunternehmer so schnell keiner nach: Elon Musk schafft es, sich und zugleich die Konkurrenz in Bedrängnis zu bringen.
Und so funktionierte dieses Kunststück: Genüsslich berichtet das Wall Street Journal, dass Tesla-CEO Musk angeblich für 3,6 Mrd. USD Tesla-Aktien abgestoßen habe, bevor das Unternehmen anschließend bekanntgab, unter mangelnder Elektroauto-Nachfrage zu leiden. Was an dem Vorwurf dran ist, muss geprüft werden. „Das sollte für die SEC von großem Interesse sein”, wird der Jura-Professor James Cox zitiert, ein auch vom US-Kongress gehörter Spezialist für Insiderhandel. Die SEC ist die Börsenaufsicht der USA. Musk lässt den Vorgang unkommentiert.
Dass sich der Medienmainstream zuletzt so auf Musk eingeschossen hat, dürfte nicht zuletzt auch an seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter und der anschließenden Aufdeckung massiver und einseitiger Zensurmaßnahmen liegen (Stichwort: Twitter Files). Aufgeschreckt zeigte sich auch die EU. Entsprechend drohte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, beim WEF-Jahrestreffen in Davos – wo sonst?! – Elon Musk Sanktionen an, falls dieser sich nicht unterordne. In bester Orwellscher Umkehrung der Worte bezeichnete sie ein nicht näher bestimmtes „wir“ als „Beschützer der Redefreiheit“ – Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Zensur ist Redefreiheit. Im neuen Smart Investor 2/2023 haben wir uns in einem Beitrag für die Österreichische Schule mit der Kaperung der Sprache intensiver auseinandergesetzt.
Bei Tesla lässt Musk statt Worten nun jedenfalls Taten sprechen. Plötzlich senkt Tesla nämlich die Preise für seine Autos, und zwar um Tausende von US-Dollars! Die eine Hälfte der Marktbeobachter sieht darin eine Bestätigung von Teslas augenblicklicher Schwäche. Die andere Hälfte erkennt darin exakt das Gegenteil, einen Beweis der Stärke: Tesla kann es sich leisten, die eigene Marge zu mindern, um die Elektroauto-Konkurrenz an die Wand zu drücken. Kunden zum Beispiel, welche auf der Warteliste zum Ford Mustang Mach-E stehen, wechseln jetzt zu Teslas Model Y.
Der Tesla-Kurs jedenfalls stieg in den letzten Tagen. Musk ist und bleibt ein Ausnahmeunternehmer, selbst oder gerade dann, wenn er in Bedrängnis ist.

Technische Panne verursacht Flash Crash
Zu Handelsbeginn des 24. Januars ereignete sich an der New Yorker Börse ein sogenannter Flash Crash. Dabei kam es in kürzester Zeit zu extremen Kursrutschen, die aber fast ebenso rasch wieder ausgemerzt wurden. Beispielsweise hatte Wells Fargo um ca. 15% nachgegeben. Weitere Schwergewichte wie Morgan Stanley und Walmart waren betroffen, so dass der Dow Jones zwischenzeitlich mehr als 9% verlor.
Noch wurde keine konkrete Ursache benannt, doch es spricht vieles für eine technische Störung. Am Abend schloss die New Yorker Börse übrigens wieder nahe des Vortagesniveaus. Mittlerweile teilte die NYSE (New York Stock Exchange) mit, dass einige Trades, die während des Vorfalls zustande kamen, rückabgewickelt werden. Anderenfalls müssten sich Anleger grundsätzliche Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Stopp-Loss-Orders machen.

Zu den Märkten
Der DAX blieb zwar vom Flash Crash verschont, doch ging es auch bei den deutschen Standardwerten seit letztem Mittwoch bedeutend ruhiger zu. Die Januar-Rally scheint erst einmal beendet. Jetzt befindet sich der Markt im Korrekturmodus und der kann nach den fulminanten Gewinnen vom Jahresauftakt durchaus noch ein bisschen anhalten. Das ist nicht weiter besorgniserregend, sondern im Gegenteil sogar eine ziemlich gesunde Entwicklung.
Auffällig ist allerdings, wie intensiv auf diversen Börsenkanälen momentan vor einem unmittelbar bevorstehenden Aktiencrash gewarnt wird. Auch prominente Analysten kommen mit ihren Einschätzungen gehäuft zu Wort. Die Präsenz des Themas kann auf der einen Seite zwar tatsächlich für Nervosität unter den Marktteilnehmern sorgen, andererseits sind Crashs eigentlich eher nach Phasen allgemeiner Sorglosigkeit zu beobachten, nicht aber dann, wenn viele darauf warten.
Pünktlich zum Wochenende
Nach einem arbeitsreichen Wochenende ist die neue Ausgabe Smart Investor 2/2023 am Dienstagabend in den Druck gegangen. Titelstory sind diesmal die Schwellenländer, die in den letzten Jahren deutlich vernachlässigt waren und nun wieder frische Chancen bieten. Ebenfalls vernachlässigt war das Geschäft mit Öltankern. Wie ausgetrocknet dieser Markt war, zeigte sich, als im Rahmen der Verwerfungen des Jahres 2022 händeringend nach Tankerkapazitäten gesucht wurde. Zudem fragen wir nach dem außergewöhnlich starken Börsenauftakt, was statistisch vom Januareffekt zu halten ist. Das und vieles mehr im neuen Smart Investor 2/2023.
Invest Stuttgart – Die Leitmesse kommt!
Am 17. und 18. März öffnet die Stuttgarter „Invest“ Ihre Tore für das Publikum. Die Leitmesse für Anleger bietet auch dieses Jahr Orientierung über aktuelle Entwicklungen, eine Vielzahl interessanter Vorträge führender Experten sowie die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichgesinnten. Ein Format, das Sie keinesfalls verpassen sollten. Als Leser des Smart Investor Weekly, können Sie an der Veranstaltung sogar kostenlos teilnehmen. Um Ihr gratis Online-Ticket abzurufen, gehen Sie bitte wie folgt vor:
So erhalten Sie Ihr gratis Online-Ticket
- Klicken Sie auf den Link: Invest – Tickets & Öffnungszeiten | Messe Stuttgart (messe-stuttgart.de)
- Im blauen Eingabefeld (rechts) Ihren Messe-Ticket-Code einlösen. (Code: SMARTINVESTOR)
- Ticket-Registrierung ausfüllen und Ticket anfordern
- In wenigen Minuten erhalten Sie Ihr Ticket per E-Mail
Musterdepots & wikifolio
In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über unsere Transaktionen in den Musterdepots sowie über die Entwicklung in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.
Fazit
Im gesamten Westen zeigt sich immer deutlicher die Handschrift eines neuen Interventionismus, der irgendwo zwischen traditioneller Industriepolitik und einer Zwangsbegrünung ehemals blühender Wirtschaftsräume anzusiedeln ist.
Frank Sauerland, Ralph Malisch
Hinweis auf mögliche Interessenkonflikte:
Ein mit “*“ gekennzeichnetes Wertpapier oder ein Derivat darauf wird zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikation oder der Smart Investor Printausgabe von mindestens einem Mitarbeiter der Redaktion gehalten.
Abonnements:
Unsere Smart Investor Abonnements finden Sie hier.
Das Magazin:
Das aktuelle Smart Investor Magazin finden unsere Abonnenten hier.
E-Mail-Versand:
Sollten Sie den E-Mail-Versand abbestellen wollen, so benutzen Sie bitte den Abmelde-Link unter dem Newsletter bzw. schicken uns eine E-Mail mit dem Betreff “Abbestellen des SIW” an weekly@smartinvestor.de.
Unsere Datenschutzerklärung finden sie hier.
Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.
Unsere Depotempfehlung: das Depot von smartbroker.de. Bereits ab 0 € Gebühren Wertpapiere handeln.