Inflationshistorie
Von 1948 bis 1951 gab es bei den Preisen ein Auf und Ab – und einen Sondereffekt im Jahr 1951
Irreführung über die Inflation des Jahres 1951
Als Ende September 2022 die Inflationsrate erstmals die 10%-Marke erreichte, überraschten viele Zeitungen und sogar die tagesschau die Deutschen mit der Meldung, zuletzt sei die Geldentwertung 1951 höher gewesen, denn damals habe sie 7,6% betragen. Nun ist 10% deutlich mehr als 7,6% – und dennoch ist diese merkwürdige Meldung seitdem häufig zu lesen. Selbst die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat sie kürzlich wiederholt, sodass sie massenhaft weiterverbreitet wurde.
Wörtlich lautete die Meldung: „Teuerungsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern wurden Raten um die 10% und darüber Anfang der 1950er-Jahre gemessen. Allerdings hat sich die Berechnungsmethode im Laufe der Zeit geändert.“ Was war da los, Anfang der 1950er-Jahre? Hat die Inflation 1951 oder sonst irgendwann in dieser Zeit die 10%-Marke erreicht – und wenn ja, warum?
Die wohl beste Quelle für diese Fragen sind die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, die bis 1957 noch „Bank deutscher Länder“ hieß. Diese Berichte liegen seit Januar 1949 vor und geben ein detailliertes Bild der Entwicklung seit der Einführung der D-Mark am 21. Juni 1948. Erzählen wir die Geschichte chronologisch.

1949 und 1950 sanken die Preise deutlich
In den Monaten nach der Währungsreform stieg die Produktion sprunghaft an, weil die Unternehmer nach Freigabe der Preise endlich wieder wussten, welche Produktion überhaupt rentabel ist, und weil alle Vorprodukte erhältlich waren.
Allerdings stieg die Güterfrage noch schneller, was die Preise im zweiten Halbjahr 1948 kräftig steigen ließ. Leider beginnt der erste Preisindex erst mit dem Oktober 1948, er hat die Basis 1938 = 100 und beschreibt die Lebenshaltungskosten eines vierköpfigen Arbeiterhaushalts. Dieser Index stieg von Oktober bis Dezember 1948 von 165 auf 168, also um 1,8% in nur zwei Monaten. Für die ersten vier Monate nach der Einführung der D-Mark liegen aus den frühen 1950er-Jahren keine solchen Daten vor. Zwei Argumente sprechen aber für einen deutlichen Preisanstieg in dieser kurzen Zeit: zum einen die Massendemonstrationen der Gewerk-schaften im November 1948 gegen die hohen Preise (ja sogar direkt gegen die Marktwirtschaft!) und zum anderen das wieder sinkende allgemeine Preisniveau in den beiden Folgejahren. Viel später hat das Statistische Bundesamt dann aber doch einen Preisindex für einen vierköpfigen Haushalt von Arbeitnehmern oder Angestellten, der im Mai 1995 bei 100 lag, bis zum Juni 1948 zurückberechnet. Er stieg von Ende Juni bis Ende Dezember 1948 von 25,8 auf 29,5 (was auch schon der Wert für Ende Oktober war), also um 14,3% in sechs Monaten.
Zweifellos lagen die Preise in den drei Westzonen Ende 1948 auf einem besonders hohen Niveau. Von diesem Punkt aus sank der erwähnte Index im Laufe des Jahres 1949 um beachtliche 7,1% auf 156. Es ist für das Jahr 1949 der beste Näherungswert für die bundesdeutsche Inflationsrate, eine mit heutigen Standards vergleichbare Messung begann nämlich erst 1950. Der kräftige Preisrückgang 1949 hat neben dem erwähnten Basiseffekt weitere Gründe: Eine gute Ernte verbilligte die Lebensmittel, die noch einen großen Anteil an den Konsumausgaben hatten. Außerdem stieg bei sinkenden Rohstoffpreisen die Industrieproduktion um beachtliche 19%, was von der Angebotsseite her die Preise dämpfte. Im Jahr darauf nahm die Industrieproduktion sogar um stolze 32% zu. Dieses große Angebot ließ bei eher geringem Geldmengenwachstum den erwähnten Index auf 151, also um weitere 3,2% zurückgehen.
Die etwas anders gemessene Inflationsrate lag sogar bei -6,4%. Eine gute Frage ist, warum die Bundesbank damals überhaupt noch einen Preisindex nutzte, der die Geldentwertung so deutlich überzeichnet hat.
Die Antwort kann man der damaligen Wirtschaftspresse und – zwischen den Zeilen – sogar den Erklärungen der Notenbank selbst entnehmen: Die Währungshüter wollten jede Art von Inflationsmentalität im Ansatz verhindern und dafür war ihnen ein alter Preisindex, der die Geldentwertung übertrieben hat, nicht ganz unrecht.
Koreakrieg 1950 ließ die Rohstoffpreise steigen
Allerdings wurde mit dem Überfall Nordkoreas auf Südkorea am 25.6.1950 das Ende der Zeit sinkender Preise eingeläutet. Ähnlich wie in unseren Tagen machten die Rohstoffpreise an den Weltmärkten einen Satz nach oben, was ab Oktober 1950 die deutschen Verbraucherpreise wieder steigen ließ. Ein neuer Index für das Preisniveau, definiert auf 100 für den Juni 1950, stieg von einem Tief im September 1950 in nur 14 Monaten um 14,2%. Der maximale Anstieg in einer Zwölfmonatsspanne, von Ende Oktober 1950 bis Ende Oktober 1951, betrug 12,8%. Allerdings hat auch dieser Index die Entwicklung der Lebenshaltungskosten überzeichnet: Er stieg im Gesamtjahr 1951 um 12,6%, während die Verbraucherpreise „nur“ um 7,6% anzogen.
Und eben deswegen hat die Inflationsrate auch im Jahr 1951 zu keinem Zeitpunkt die 8%-Marke erreicht oder gar überschritten. Anders gesagt: Wir haben heute wirklich die höchste Inflation in Friedenszeiten zumindest seit 1948, wenn nicht seit 1923. Der kräftige Preisanstieg in den ersten Monaten nach der Währungsreform kann aber kaum als „Inflation“ bezeichnet werden – denn diese ist als unumkehrbarer Anstieg des allgemeinen Preisniveaus definiert, während die hohen Preise Ende 1948 in den beiden Folgejahren wieder sanken. Ohnehin bezieht sich die zitierte dpa-Meldung nicht auf das Jahr 1948, sondern auf 1951. Sie ist deswegen mehr als nur irreführend: Sie ist unzutreffend.
Hohe Ölpreise sind Teil der Inflation und nicht ihre Ursache
Mit dem Jahr 1952 begann dann eine lange Periode annähernder Preisstabilität, die erst in den frühen 1970er-Jahren endete. Auch hier gibt es eine Parallele zur Gegenwart: Die explodierenden Ölpreise 1973 waren eben nicht die Ursache der damaligen Geldentwertung von 7,1%, sondern ein Teil derselben. Die Ursache war ein zu starkes Wachstum der US-DollarGeldmenge in den Jahren davor, das sich
bei zunächst festen Wechselkursen sozusagen eins zu eins auf die D-Mark übertrug. Schon 1971 und 1972, bei noch sehr niedrigen Ölpreisen, lag die Inflation jeweils über 5%. Hintergrund der lockeren Geldund Haushaltspolitik der USA ab Mitte/Ende der 1960er-Jahren waren vor allem die hohen Kosten des Vietnamkriegs.
Die Gefahr einer „Deflationskrise“ gab es 2015 nicht Eine interessante Lehre für die Gegenwart ist auch, dass die Deutsche Bundesbank die deutlich sinkenden Preise der Jahre 1949 und 1950 in keiner Weise als problematisch ansah – im Gegenteil. Auch 1953 und letztmalig 1986 sanken die Verbraucherpreise; von daraus resultierenden Problemen ist so wenig überliefert wie von Warnungen der Bundesbank vor einer drohenden Deflation. Ganz anders in unseren Tagen: Als sich Anfang 2015 die Euro-Inflationsrate für kurze Zeit dem Nullpunkt näherte, warnte die EZB intensiv vor einer angeblich drohenden Deflationskrise. Es bestehe die Gefahr, dass die Verbraucher bei minimal sinkenden Preisen massenhaft Anschaffungen für Güter wie Autos und Waschmaschinen zurückstellen würden, in der Hoffnung, sie später günstiger erwerben zu können – und das wiederum könnte die Wirtschaft in den Abgrund reißen. Mit diesem fragwürdigen Argument hat die EZB genau die massive Expansion der Geldmenge begründet, die seit nunmehr zwei Jahren die Preise durch die Decke gehen lässt.