Baisse mit Biss

Titelbild: © Azahara – stock.adobe.com

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Nach der Zwischenerholung dürfte es wieder hässlich werden

Einblicke

Zwingen wir uns, der Zukunft entgegenzusehen, die da ungebremst auf uns zurast. Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed, tritt heute Abend vor das Publikum. Erwartet wird, dass er ankündigt, die Zentralbankzinsen um 0,5% oder 0,75% anzuheben. Powell sammelt damit jene Dollars wieder ein, die er in den Monaten zuvor mittels Zinssenkungen in den Markt gegeben hatte. Er muss es tun, denn die US-Inflation erweist sich mit aktuell 8,6% p.a. als hartnäckiger, als noch vor kurzem von ihm vermutet.

Aber welche Auswirkungen wird Powells Ansage auf Inflation, Konjunktur und Märkte haben? Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage, die sich Investoren und Trader im Vorfeld stellen. Wir haben die Antwort: Zwar kommt es an den Märkten zunächst zu einer Zwischenerholung, aber perspektivisch wird es hässlich werden. Die Erholung wäre nach den spektakulären Abgaben der letzten Tage jedenfalls kein Wunder. Dann aber … entkleiden wir die Vorgänge aller politikbetriebsbedingten Verbrämungen und sprechen wir klares Deutsch: Sowohl von der Fed als auch von der EZB ist zu viel Geld gedruckt worden. Viel zu viel. Damit sollte die Bevölkerung halbwegs bei Laune gehalten und wenigstens der Eindruck erweckt werden, die Wirtschaft ließe sich in Zeiten der Covid-Maßnahmenpandemie am Laufen halten. Gleichzeitig aber sind nicht entsprechend mehr Güter produziert worden, eher sogar weniger; und davon werden einige in Maßnahmen-bedingt geschlossenen Häfen oder im Suez-Kanal stecken geblieben sein.

Mehr Fiatgeld trifft also auf weniger Ware. Dass die Preise für Waren und Dienstleistungen dadurch steigen, ist nachvollziehbar. Zuvor schon hoben die Aktienkurse ab, denn in den Aktienmarkt floss das Fed-Frischgeld zuerst: Aktien sind schnell gekauft, es braucht nur einen Mausklick und man fühlt sich gut, oder schlecht, wie zuletzt. In den Jahren 2020 und 2021 aber fühlten sich die Investoren wirklich gut, da die Kurse mit freundlicher Hilfe der Fed stiegen und stiegen und jeder Neu-Aktionär ein Anlageweltmeister war oder sich zumindest als solcher fühlen konnte.

Nun geht es abwärts, da die Fed dem Markt das Geld entzieht. Zuerst sinken die Börsenkurse, denn Aktien sind auch Mausklick-schnell verkauft.

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Ausblicke

Als nächstes werden die aktiennotierten Gesellschaften ihre Ausblicke wegen gestiegener Zinsen und Rezessionserwartungen zurücknehmen. Das wird Investoren, die an eine ausgedehnte Kurserholung nach übertriebenen Abgaben glaubten, auf dem falschen Fuß erwischen. So bekommt die Baisse richtig Biss.

Target Corp. (WKN 856243), eine große US-Einzelhändlerkette, senkte bereits den Ausblick. Ebenso tat es der Software- und Cloud-Gigant Microsoft (WKN 870747). Die Verbraucher spüren die Inflation; sie beginnen, weniger zu kaufen. Auch in Deutschland: Gerade schickt der Baumarktkettenbetreiber Hornbach Holding (WKN 608340) eine verklausulierte Gewinnwarnung heraus.

Das sind die typischen Vorboten einer Rezession. Am EZB-Dienstsitz in Frankfurt reagiert man hektisch. Der EZB-Rat traf sich heute um 11 Uhr zu einer außerplanmäßigen „Notfall“-Sitzung. „Um die aktuellen Marktbedingungen zu erörtern”, wie ein EZB-Sprecher erklärte. Währenddessen wird an US-Tankstellen ein Rekordpreis von durchschnittlich 5 USD für die Gallone (4,5 Liter) verlangt. Mondelez International (WKN A1J4U0), der amerikanische Lebensmittel- und Snackhersteller (Milka, Oreo), kündigt an, gestiegene Energiepreise an die Verbraucher weiterzugeben, 10% Preisanstieg wären möglich.

In Deutschland steigen die Spritpreise ähnlich wie in den USA. Die Bundesregierung wollte den Anstieg mit einem Tankrabatt bekämpfen, doch der Rabatt verdampft in der Realität des Marktes. Nun schieben sich ratlose Bundespolitiker gegenseitig die Schuld dafür zu und feilen an dirigistischen Markteingriffen.

Vielleicht weiß keiner aus der Riege der heutigen Politikdarsteller und Marktdirigenten, dass die angedachte Abschöpfung von sogenannten Übergewinnen bei Mineralölkonzernen in den USA schon vor rund 40 Jahren probiert wurde. Präsident Carter witterte damals „windfall profits”, als der Benzinpreis hochschoss. Carter erließ Regulierungen, um „ungerechtfertigte” Profite abzuschöpfen. Jedoch: An den hohen Spritpreisen änderte er damit wenig. Nachfolgepräsident Reagan senkte Steuern auf breiter Front und hob die Regulierungen auf, der Spritpreis sank.

Durchblicke

Es ist Feierabend, das kalte Bier läuft und auch die Lieblingsserie. Die erste gute Szene beginnt und prompt passiert der Cut: Werbeunterbrechung. Man seufzt, wuchtet sich aus dem Sofaplüsch, schlurft aus dem Wohnzimmer, im Gästeklo ist die Wasserspülung zu testen. Die zurückgelassene TV-Werbung sendet derweil das leere Sofa an. Für Werbetreibende ist das natürlich ärgerlich. Schließlich kann eine Sendeminute Reklame für Binden, Bustiers oder Bohnen locker einen fünfstelligen Betrag kosten. Den Sendern und Streamingdiensten, die sind da kalt wie Hundeschnauze, ist das ziemlich egal. Sie rechnen voll ab, ein Klospülungsrabatt ist unbekannt. Im Gegenteil, die Sache lässt sich noch optimieren. Wenn der Bildschirm aus ist, läuft keine Werbung, bezahlt der Binden-Anpreiser nichts. So dachte man bisher als vermeintlicher Durchblicker.

Nun wird bekannt, dass einige Streamingdienste bei ausgeschaltetem Bildschirm das Reklameangebot weiterlaufen lassen, aus technischen Gründen natürlich. Auf Fernsehern, die über Streaminganbieter angeschlossen sind, wird etwa 17% der Reklame kostenpflichtig ausgespielt, egal ob das Endgerät ein- oder ausgeschaltet ist. Das ergäbe eine Verschwendung von womöglich mehr als einer Mrd. USD an Werbegeldern im Jahr, schätzt die Agentur GroupM.

Die jüngst erst ventilierte Idee von Netflix (WKN 552484) und Disney (WKN 855686), künftig klammen Abonnenten billige, Reklame-finanzierte Streamingprogramme anzubieten, erscheint angesichts dieser Infos in völlig neuem Licht …

Zu den Märkten

Rumms! Was der DAX in knapp drei Wochen an Boden gutmachte, ist in einer Handelswoche wieder zerronnen. Als klar wurde, dass der Markt nicht weiter nach oben konnte bzw. wollte, entschied er sich umso vehementer für die Gegenrichtung. Das Widerstandsband (vgl. Abb., rotes Band) zwischen 14.800 und 15.000 Punkten wurde nicht einmal angekratzt. Das gilt auch für die inzwischen deutlich fallende 200-Tage-Linie (blau-graue Linie). Interessanterweise zogen die Umsätze (Abb., unterer Teil) im Verlauf des Kursrückschlags deutlich an, was als trendbestätigend angesehen werden muss. Die ganz Dynamik der Bewegung deutet damit auf eine Fortsetzung der Aktienbaisse. Daran würden auch allfällige Rallys und Gegenbewegungen zunächst nichts ändern.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über die Entwicklung in unseren Musterdepots sowie in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.

Fazit

Vor der regulären Sitzung der US-Notenbank Fed heute Abend hat die EZB heute Morgen eine „Notfall-Sitzung“ abgehalten. Auch wenn diese den Euro kurzfristig (?) stärkte, ist der Subtext einer solchen Sitzung doch, dass die Lage wirklich ernst ist.

Frank Sauerland, Ralph Malisch

Smart Investor 06/2022:

Titelstory: Es grüßt der Bär

Beteiligungsgesellschaften: Die Branche im Überblick – samt großem Tabellenwerk

Turnaround: Offshore-Ölservicesektor vor dem Comeback?

Healthcare & Biotech: Gute Eintiegschancen nach der Sektorrotation?

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