Interview
Smart Investor im Gespräch mit Wolfgang Schuster, Kontor Stöwer AM, über die Suche nach Value-Buildern und den analytischen Mehrwert durch die Erstellung genetischer Fingerabdrücke von Unternehmen
Smart Investor: Sie sind auf der Suche nach Value-Buildern. Was charakterisiert diese Unternehmen?
Schuster: Value-Builder sind Unternehmen mit einer soliden unternehmerischen Basis und gut prognostizierbarer Entwicklung. Ihr Geschäftsmodell ist erprobt, resilient gegenüber Marktveränderungen und bietet verlässliche Erträge. Oft handelt es sich um etablierte Unternehmen mit klarer Positionierung in ihrer Branche. Die Entwicklung dieser Unternehmen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit abschätzen – etwa durch planbare Cashflows, verlässliche Wachstumsraten oder konstante Margen. Die Auswahl basiert auf dem strukturierten Analyseprozess der KSAM, der qualitative und quantitative Faktoren berücksichtigt. Wir messen den von uns skalierten Erfüllungsgrad dieser Faktoren, z.B. des Return on Investment, um unsere Investmententscheidung abzusichern. Dieser Prozess differenziert Value-Builder von kurzfristig attraktiven, aber unsoliden Investments.
Smart Investor: Kann man bei Value-Buildern von einer homogenen Gruppe sprechen?
Schuster: Nein – ihre individuellen Stärken können in Bezug auf Branchen, geografische Märkte, Innovationskraft oder operative Exzellenz stark variieren. Das erschwert Peergroup-Vergleiche, unterstreicht jedoch ihre individuelle Qualität. Das Profil eines Value-Builders entsteht aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren, was einen ganzheitlichen Analyseansatz notwendig macht.
Smart Investor: Wie findet man Werte, die langfristig Kurssteigerungen und Wertzuwachs bringen?
Schuster: Es ist entscheidend, die richtige Balance zwischen einer Chancen-und-Risiko-Abwägung zu finden. Ein ähnliches Geschäftsmodell von zwei Unternehmen sollte bei fast identischen Kennzahlen weitere Kriterien erfüllen. Aktie A hat fünf Kunden à 20% Umsatzanteil; B hat 20 Kunden à 5% Umsatzanteil, womit B aus unserer Sicht in der Risikobalance attraktiver ist. Die überzeugenderen Werte werden dann priorisiert. Die Unternehmen durchlaufen einen strukturierten, makroökonomisch fundierten Auswahlprozess, gefolgt von einer detaillierten Analyse auf Basis ihres genetischen Fingerabdrucks. Im Fokus stehen unternehmerische Fähigkeiten, Risikoprofile und Potenziale. Klassische Methoden wie das Discounted-Cashflow-Verfahren ergänzen den Prozess. Wir durchleuchten den gesamten unternehmerischen Prozess, um sichtbar zu machen, ob das Unternehmen mit den vorhandenen Möglichkeiten das Maximum erwirtschaftet, die Zukunft im Auge behält oder als Negativbeispiel Abschreibungsbedarf produziert. So lassen sich gerade bei großen, komplexen Unternehmen wie Siemens oder den Ablegern Healthineers oder Energy Abweichungen gezielter erkennen und bewerten.
Smart Investor: Sind solche Unternehmen nicht sofort für jedermann sichtbar?
Schuster: Nein, denn ein starkes Unternehmen – ein Value-Builder – kann Phasen durchlaufen, in denen es unter dem Radar bleibt. Die Kursbewegungen können stagnieren oder verlaufen scheinbar seitwärts. Doch unter der Oberfläche arbeitet das Unternehmen: Es baut Strukturen aus, verbessert Prozesse, expandiert in neue Märkte, steigert seine Ertragskraft. Diese Phase ist wie der Tauchgang des Wals: unsichtbar, aber produktiv. Geduldige Investoren wissen: Der Wal taucht wieder auf. Und wenn er es tut, ist das Ergebnis oft spektakulär – so wie ein Aktienkurs, der sich nach längerer Phase der Konsolidierung kraftvoll in Bewegung setzt. Wer zu früh abspringt, verpasst das Auftauchen.
Smart Investor: Welche Kennzahlen spielen beim analytischen Ansatz von KSAM eine wesentliche Rolle?
Schuster: Die isolierte Betrachtung einzelner Kennzahlen ist oft wenig zielführend. Sie können Hinweise geben, aber auch in die Irre führen. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen: Ein hohes Eigenkapital ist grundsätzlich kein Mangel. Dennoch kann es in Korrespondenz mit anderen Kennzahlen Indizien dafür liefern, dass die Höhe oder der weitere Anstieg des Eigenkapitals ein Warnsignal für eine verfehlte Unternehmenspolitik ist. Aufmerksame Investoren denken an die „Erntestrategie“. Das bedeutet, dass das Unternehmen hohe Eigenkapitalreserven (z.B. aus früheren Gewinnen) hält, die nicht produktiv eingesetzt werden.
Smart Investor: Wann wird eine Aktie trotz positiver Bewertung uninteressant?
Schuster: Eine Aktie kann trotz einer positiven Bewertung uninteressant werden, wenn die Risikobewertung definierte Toleranzgrenzen überschreitet. Das ist oft der Fall, wenn zusätzliche Indikatoren wie auffällige Kursverläufe, hohe Volatilität oder strukturelle Veränderungen im Geschäftsmodell Zweifel an der Nachhaltigkeit der Bewertung aufkommen lassen. Besonders kritisch wird es, wenn qualitative Faktoren, wie ein instabiles Management oder fehlende Innovationskraft, das Chancen-Risiko-Verhältnis negativ beeinflussen. Auch temporäre Überbewertungen durch Marktpsychologie oder zu optimistische Analystenerwartungen können dazu führen, dass ein eigentlich gutes Unternehmen zum falschen Preis angeboten wird.
Smart Investor: Können Sie Beispiele für Value-Builder nennen?
Schuster: Beispiele sind Jumbo (IK) aus Griechenland, New Wave aus Schweden oder Aena aus Spanien – Unternehmen mit besonderen Merkmalen im Geschäftsmodell und starker Positionierung, die über unser Verfahren identifiziert wurden. Diese Unternehmen agieren zudem mit weitsichtiger Strategie und herausragender Geduld im Sinne der Aktionäre – was wir besonders mögen.
Smart Investor: Herr Schuster, vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.
Wolfgang Schuster gehört zu den erfahrensten Aktienanalysten in Deutschland. Intensive Beschäftigung bereits im Studium mit Themen wie „Quantitative Wirtschafts- und Unternehmensanalysen und Operations-Research“, u.a. bei Prof. Dr. rer. oec., Dipl.-Kfm. Siegfried Sturm. Schuster führte zusammen mit HSBC in Stuttgart eine langjährige, sehr erfolgreiche Analyse zur Strukturierung eines Aktienportfolios mit dem Ziel einer Volatilität unter dem Marktdurchschnitt durch. Seit 2020 stellt er seine tiefgehenden Kenntnisse in der Unternehmensanalyse der Trierer Vermögensverwaltung Kontor Stöwer Asset Management als Mitarbeiter zur Verfügung.