Problembär Euro

Titelbild: © Valeri Luzina – stock.adobe.com

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Über den Niedergang eines politischen Projekts

Prognose oder Wunschziel?

Während die Anleger gebannt auf den Aktienmarkt, den Öl- oder Goldpreis blicken, ist ihnen oft nicht bewusst, wie wenig tragfähig inzwischen das Fundament der eigenen Währung ist. Der Euro selbst sollte daher im Mittelpunkt ihres Interesses stehen. Denn die Euroschwäche wird in all jenen Bereichen, wo Waren, etwa Rohstoffe, primär in US-Dollar notiert oder aber aus dem Nicht-Euro-Ausland importiert werden, weiter für erheblichen Preisdruck sorgen. Die bisherigen Inflationsprognosen dürften damit samt und sonders Makulatur sein. Das gilt besonders für die EZB-Prognosen, die seit Monaten penetrant zu tief sind und eher Wunschzielen als ernsthaften Prognosen gleichen. Natürlich fallen die Märkte auf dieses Vorgaukeln von Zielerreichung nicht länger herein, zumal man sich um die Erreichung des Inflationsziels nicht einmal ernsthaft zu bemühen scheint. Einen eventuellen Vertrauensvorschuss in Sachen Inflationsprognose/-bekämpfung hat das Duo Lagarde/Schnabel längst verspielt. Da wird die Auffassung populär, dass die bereits für Fahrlässigkeit in ihrer Zeit als französische Finanzministerin rechtskräftig verurteilte Lagarde, eine rein politisch motivierte Fehlbesetzung ersten Ranges ist.

Ja UND Nein

Politisch motiviert? Ja. Fehlbesetzung? Nein. Dazu muss man nur in die kurze, aber dennoch überraschend lange Historie des Euros eintauchen. Denn Kritiker hielten die Gemeinschaftswährung von Anfang an für derart fehlkonstruiert, dass die Frage ihres Scheiterns für sie keine des „ob“, sondern lediglich eine des „wann“ war. Tatsächlich hätte der Euro unter Beachtung der ursprünglich festgelegten Regeln und Mechanismen auch keine Überlebenschance gehabt. Allerdings hatten die frühen Kritiker unterschätzt, wie sehr die Politik tricksen würde, um die Fliehkräfte des Euros in Schach zu halten. Spätestens da kam Christine Lagarde ins Spiel, damals noch IWF-Chefin, die angesichts der „Eurorettung“ der Jahre 2008ff. keinen Hehl aus Ihrer Skrupellosigkeit für die gute Sache machte: „Wir haben alle Regeln gebrochen, weil wir zusammenhalten und die Euro-Zone retten wollten“ lautet ihr berühmtestes Zitat aus jener Zeit – und das war praktisch ihr Empfehlungsschreiben für die EZB-Spitzenposition.

Kernaufgabe und Lippenbekenntnisse

Und damit sind wir nach einem mittellangen Anlauf am Kernproblem des Euros, das angesichts der aktuellen Hochinflation nun besonders pointiert zutage tritt: Offiziell hat die EZB nur die Aufgabe, die Geldwertstabilität zu sichern. Damit ist ihr Mandat wesentlich enger gefasst als etwa das ihres US-amerikanischen Gegenstücks, der Federal Reserve. Aber Papier ist geduldig, besonders, wenn an der Spitze der Institution eine bekennende Sachwalterin des Politischen steht, die weder Ökonomin noch Geldtheoretikerin ist. Der politische und eigentliche, aber nicht niedergeschriebene Auftrag lautet nämlich, die Eurozone um jeden Preis zusammenzuhalten. So sind auch die jüngsten Maßnahmen und Ankündigungen zur Einebnung der Zinsspreads zwischen Deutschland und z.B. Italien zu verstehen. In dieser Zielhierarchie ist die offizielle Aufgabe der EZB, die Erhaltung der Geldwertstabilität, lediglich nachgeordnet. Auch künftig sollten Sie daher aus Frankfurt nicht mehr als eine halbherzige Politik der Inflationsbekämpfung oder bloße Lippenbekenntnisse zur Geldwertstabilität erwarten, auf die Sie bitte nicht hereinfallen.

Kurs Parität

Wie schnell die Liraisierung des Euros voranschreitet, und wie wenig der Euro eine Anlagewährung ist, lässt sich nicht nur an den beharrlich hohen Inflationsraten – die gibt es im US-Dollar derzeit auch –, sondern vor allem am Verfall des Außenwertes des Euros gegenüber dem US-Dollar ablesen (vgl. Chart). Praktisch ohne nennenswerte Gegenwehr ist die Gemeinschaftswährung seit Mitte 2021 von 1,2192 USD auf zuletzt nur noch 1,0258 USD abgesackt. Das sind historisch zu nennende Verschiebungen, die an das Jahr 2014 erinnern, als der Euro um knapp 25% gegenüber dem US-Dollar abwertete. Der Abstand zur 200-Tage-Linie (Abb., blaue Linie) zeigt zudem die hohe Dynamik der Abwärtsbewegung. Diese Bewegung illustriert auch, wie gefährlich es ist, in einem solchen dynamischen Abwärtstrend auf eine Bodenbildung zu hoffen. Jede scheinbare Stabilisierung erwies sich schon nach kurzer Zeit als nicht tragfähig (vgl. Abb., schwarze Stufen). In dieser Hinsicht bildete auch der wichtige Bereich zwischen 1,05 und 1,04 USD keine Ausnahme (vgl. Abb., rote Waagerechte). Nach dessen Durchbruch machte der Euro gestern einen weiteren Satz nach unten. Damit befindet sich die Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar nur noch rund 2,5 Cents oberhalb der Parität, wobei nach deren Durchbrechen eine erneute Dynamisierung des Kursgeschehens nach unten zu erwarten wäre.

Beeindruckend schlechte Performance

Nun könnte man auf die Idee kommen, dass wir es hier nicht mit einer Euro-Schwäche, sondern mit einer Dollar-Stärke zu tun haben. Um das Phänomen richtig einzuordnen, kann es hilfreich sein, weitere Währungspaare zu Rate zu ziehen. In der zweiten Abb. sehen wir den Vergleich zum Schweizer Franken, der vielen Anlegern noch immer als Fiatwährung mit vergleichsweise gutem Ruf gilt. Hier zeigt sich über die Jahre ein dramatisch eindeutiger Abwärtstrend des politisierten Euros. Zumindest könnte jeder, der nicht vollkommen faktenresistent ist, noch einmal über das dümmliche Euro/EU-Mantra nachdenken, wonach groß und zentral auf wundersame Weise irgendwie besser sein soll als klein und dezentral. Zuletzt hat der Euro sogar die Parität zum Schweizer Franken unterschritten. Diese wurde in der steilen Abwärtsbewegung des Euro im Jahr 2011 schon einmal fast erreicht, was die Schweizerische Notenbank SNB mittels des sogenannten „Euro Pegs“ gegensteuern ließ. Eine derart dramatische Aufwertung des Schweizer Frankens, der sich in der Eurokrise der Jahre 2008ff. als eine der beliebtesten Fluchtwährungen erwies, war schlicht nicht im Interesse der, von der Eurozone umschlossenen Schweiz. Im Jahr 2015 musste die SNB, den Schweizer Franken dann aber wieder freilassen, was zu dessen schlagartiger Aufwertung gegenüber dem Euro führte. Damals erreichte und unterschritt der Euro die Parität kurzzeitig. Verlängert man den langen Abwärtstrend des Euro um weitere zehn bis 20 Jahre, wären selbst Kurse von nur noch 0,5 CHF für einen Euro nicht einmal eine spektakuläre Prognose.

Exportweltmeister auf Abwegen

Nun wurde uns von den Euro-Anhängern gerne erzählt, zumindest seit sich dessen inhärente Schwächeneigung nicht mehr verleugnen ließ, dass diese Schwäche doch ihr Gutes für die deutsche Exportindustrie habe. Das sichere auch hierzulande Arbeitsplätze. Folgt man dieser Argumentation, müsste der „Exportweltmeister“ Deutschland aktuell glänzend dastehen. Tut er aber nicht. Im Gegenteil: Die Handelsbilanz ist zuletzt sogar ins Minus gerutscht, erstmals seit mehr als 30 Jahren. Ihren Zenit erreichte sie im Jahr 2016, also vor sechs Jahren. Seitdem ist sie rückläufig. Aber nicht einmal die Corona-Lockdowns des Jahres 2020 haben den deutschen Außenhandel derart in die Tiefe gerissen, wie die aktuelle Situation aus Krieg, rasant steigenden Preisen und einer drohenden Rezession. Wenn Wirtschaft auch Psychologie ist, was kaum zu bestreiten ist, dann sind die Horrorzahlen vom deutschen Außenhandel ein weiterer Tiefschlag für die hiesige Anlegerseele.

Wohlbegründete Baisse

Was machen die Märkte aus dieser Situation? Wenig überraschend, sie fallen. Erklärungsbedürftig ist es dennoch. Schlechte Wirtschaftsaussichten sind nach der Alltagslogik zwar eine Belastung für die Aktienmärkte, allerdings war es in der Vergangenheit oft genug so, dass genau eine solche Eintrübung die Erwartung auf eine gelockerte Geldpolitik und damit auf liquiditätsgetriebene Kursanstiege nährte. Bei der aktuell außergewöhnlich hohen Inflation sind den meisten Notenbanken allerdings die Hände für rasche Lockerungsmaßnahmen gebunden. Die Durststrecke an den Aktienmärkten ist also fundamental begründbar. Steigende Zinsen bei wegbrechenden Gewinnen ist so ziemlich die schlechteste aller Welten für Aktien. Im Moment gibt es nicht einmal die Hoffnung, dass sich auf der Gewinn- oder Zinsseite bald Entscheidendes verbessern wird. Sollten die Notenbanken, insbesondere die EZB aus den eingangs geschilderten Gründen, allerdings entscheiden, die Inflation auf erhöhtem Niveau laufen zu lassen, dann könnte das durchaus zu einem Aktienaufschwung wie in anderen Weichwährungs- und Hochinflationsländern führen. Die Türkei ist ein schönes Beispiel für ein solches Szenario, in dem die Anleger regelrecht in Aktien flüchten, um so zumindest einen Teil der Kaufkraftverluste zu kompensieren. Ganz so weit ist es in der Eurozone allerdings noch nicht.

Zu den Märkten

Auch technisch befinden sich die Märkte weiter in der Baisse und eine solche Baisse zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass deren vermeintliches Ende regelmäßig viel zu früh und von viel zu vielen Beobachtern ausgerufen wird. Es sind wohl auch solche Hoffnungen, die dann erneut zu Enttäuschungen führen. Als wir an dieser Stelle vor einer Woche schrieben „Uns würde ein Test des März-Tiefs nicht überraschen“, ahnten wir nicht, dass es so schnell gehen würde. Unabhängig davon sehen wir nach dem gestrigen Ausverkauf nun im DAX eine interessante Situation: Obwohl der DAX gestern unterhalb des Paniktiefs vom 7.3. schloss (vgl. Abb., graublaue Waagerechte), konnte er sich heute bereits wieder von dieser Marke nach oben lösen. Damit könnte sich der gestrige Handelstag als Fehlsignal entpuppen, das als Startschuss für ein umfangreicheres Short-Covering angesehen wird. Immerhin hatte der DAX innerhalb von ziemlich genau einem Monat mehr als 2.300 Punkte verloren und ist nun deutlich überverkauft. Wer Short-Positionen hält, könnte also erst einmal der Gewinnsicherung den Vorzug vor der Chance auf einen weiteren Ausbau der Gewinne geben. Entscheidend wird aber sein, wie überzeugend der Kurs nach oben abprallt. Ist der Aufschwung kraftlos, wäre eine erneue Short-Attacke nicht auszuschließen.

Musterdepots & wikifolio

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Fazit

Während die Marktteilnehmer gebannt auf Preise und Kurse blicken, weicht der Innen- und Außenwert des Euros immer weiter auf. Manche Preisbewegung spiegelt diese Schwäche nur wider.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

Smart Investor 07/2022:

Titelstory: Value Investments – Dicke Fische für Geduldige

Geopolitik: Mediales Geschacher um den Ukrainekrieg

Reichtum: Von Sündenböcken und Neiddebatten

Edelmetalle: Über Stagflation und die richtige Anlagestrategie

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Die Charts wurden erstellt mit Guidants und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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