Neusprech

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Österreichische Schule

Wie die Sprache gekapert wurde

Historische Warnung
Mit Neusprech („Newspeak“) wurde in Orwells berühmtem Roman „1984“ jene Kunstsprache bezeichnet, die dem autoritären Regime des fiktiven Großstaats Ozeanien als Machtinstrument diente. Im Wesentlichen war es eine vom Staat regulierte und kontrollierte Sprache, deren Ziel darin bestand, die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten nach politischem Gutdünken zu formen und damit letztlich die Gedanken- und Handlungsfreiheit der Untertanen einzuschränken. Wer andere Sprachformen verwendete, konnte der Verwendung „falscher“ Wörter bezichtigt werden oder machte sich gar eines „Gedankenverbrechens“ schuldig. Neben der Ächtung gefährlicher Worte ist die Umdeutung zentraler Begriffe ein wesentliches Element von Neusprech. „Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!“ dürfte dabei der bekannteste Dreiklang sein. Orwell arbeitete in seinem Roman nicht nur die Bedeutung der Sprache für die Erhaltung der Freiheit heraus, er warnte auch eindringlich vor deren Missbrauch für politische Interessen.

Beklemmende Aktualität
Was aber hat ein knapp 75 Jahre alter Roman mit unserem heutigen Leben zu tun? Erschreckend viel: Denn nicht ohne Beklemmung muss man feststellen, dass lange nicht jeder, der heute in Politik, Medien oder dubiosen NGOs den Takt vorgibt, „1984“ als leidenschaftliches Plädoyer gegen sozialistischen Totalitarismus („English Socialism – INGSOC“) gelesen zu haben scheint. Vielmehr sehen wir, wie immer mehr der dort beschriebenen Tendenzen in unseren Alltag Einzug halten, weil sie bewusst vorangetrieben werden: Neben der Verfeinerung der digitalen Überwachung („Big Brother“) und der Gängelung sowie Entreicherung der Bürger zu systemkompatiblen Massenmenschen stehen die Meinungsfreiheit und die Sprache selbst unter Beschuss. Sogar der fortwährende Kriegszustand des imaginären Superstaats Ozeanien – ein gedanklicher Vorläufer der heutigen EU?! –, der immer neue Entbehrungen für die Bürger und immer weitreichendere staatliche Sondervollmachten rechtfertigt, findet seine Entsprechung in der heutigen Abfolge äußerer Bedrohungen – Coronavirus, Ukrainekrieg und natürlich die „Klimarettung“. All dies muss ebenfalls als Rechtfertigung für weitreichende Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten herhalten.

Ängste als Nährboden
Hier soll unser Thema die Sprache sein. Das vielleicht augenfälligste Element der letzten Jahre ist die sprachliche Inszenierung von Bedrohungslagen. Die Übertreibungen sind dabei manchmal subtil, gelegentlich mit dem Holzhammer und oft einfach nur dümmlich. Im Zusammenhang mit Corona wird noch heute – drei Jahre nach dem Beginn der sogenannten Pandemie! – von „an und mit“ Corona Verstorbenen gesprochen, eine unsinnige Zusammenfassung von Todesfällen, die allein dem Aufbauschen der Bedrohungslage dient. Die Ankündigung immer neuer „Killervarianten“ erfolgt mittlerweile so routiniert, dass sie bereits zum gegenteiligen Effekt der Gewöhnung geführt haben dürfte. Besonders ausgeprägt ist der Alarmismus auch in Bezug auf das Klima. Statt Klimawandel und Globaler Erwärmung lautet das neue Wording „Klimakatastrophe“, das unmittelbare und drastische Maßnahmen impliziert. Hinsichtlich des Ukrainekriegs wussten zuletzt gleich mehrere deutsche Großmedien „guten“ Rat, wie man sich im Falle eines Atomschlags zu verhalten habe. Die bei den Untertanen geschürten Ängste sind genau jener Nährboden, auf dem der neue Totalitarismus prächtig gedeiht. Dabei arbeiten die meinungsbildenden Medien nicht etwa als Aufklärer, sondern befinden sich zunehmend in Komplizenschaft – ein Blick in die Teilnehmerliste des jüngsten Jahrestreffens des World Economic Forum (WEF) genügt.

Curry in der Schusslinie
Aber nicht nur beim Schüren von Ängsten findet eine umfangreiche Manipulation mit Wörtern statt. Einige Wörter wurden gleich direkt aus dem Sprachgebrauch genommen. So suchen Sie Mohrenköpfe, Zigeunersoße oder Bahlsens beliebte „Afrika“-Kekse im Supermarkt mittlerweile vergeblich – und das hat ausnahmsweise nichts mit Versorgungsengpässen im postmodernen Deutschland zu tun. Selbst Curry sollte umbenannt werden. Unternehmen knicken vor den „Shitstorms“ der selbsternannten Sprachpolizei schon deshalb so oft ein, weil sie hoffen, die Wogen dadurch rasch zu glätten. Tatsächlich aber motiviert jeder solche Erfolg zu noch absurderen Forderungen. Inzwischen flogen sogar Winnetou-Bücher aus dem Sortiment, womit ihnen zumindest die „sprachliche Modernisierung“ erspart blieb.

„Schöner, jünger, geiler“
Die ganze Humorlosigkeit und Prüderie der neuen Jakobiner zeigte sich beim „Skandal“ um das Lied „Layla“. Die Stadt Würzburg entblödete sich nicht, den Partysong auf dem dortigen Kiliani-Volksfest zu verbieten, und trug so wesentlich zu dessen Popularisierung bei. Das Phänomen ist als Streisand-Effekt bekannt. Schon das „Verzeichnis der verbotenen Bücher“, der sogenannte Index der katholischen Kirche, wurde gerne als Empfehlungsliste genutzt. Mit etwas weniger Moralin und etwas mehr Verstand hätte man also wissen können, was solche Verbote bewirken. In München entwickelte sich „Layla“ nach anfänglichem Zögern sogar zu einer Art heimlichen Wiesn-Hit, nicht zuletzt, weil es eine subversive Art war, gegen die anmaßende Bevormundung durch hauptamtliche Sauertöpfe feucht-fröhlich anzugrölen.

„Verzeichnis der verbotenen Wörter“
Dagegen ist es grundsätzlich eine schöne Idee, jene Wörter noch einmal Revue passieren zu lassen, die für ein Jahr prägend waren. Das von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) jährlich bekannt gegebene „Wort des Jahres“ wäre für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. Allerdings spielt hier die Häufigkeit der Nennungen explizit keine Rolle. Entscheidend sind die Einschätzungen einer Jury, was über eine bloße Chronistentätigkeit hinausgeht. Man mag mit einzelnen Wörtern hadern, im Großen und Ganzen sind die Entscheidungen aber nachvollziehbar. Nachvollziehbar sind auch die Entscheidungen der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“ (vgl. Tabelle), denn die Unwörter sind praktisch ausschließlich Begriffe, die sich kritisch und pointiert mit linken Narrativen auseinandersetzen und aufgrund ihrer rhetorischen Griffigkeit große Popularität erlangt haben. Hier scheint es weniger um verunglückte Wortschöpfungen zu gehen, sondern um die Verbannung bestimmter Begriffe und Ideen aus dem öffentlichen Diskurs.

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„Gender-Unfug“
Ein besonderer Auswuchs der letzten Jahre ist die sogenannte gendergerechte Sprache – eine besondere Form sprachlicher Umerziehung, die bei den Menschen nur auf wenig Gegenliebe stößt. Der Statistiker und Ökonom Prof. Dr. Walter Krämer, zugleich Vorsitzender des rund 36.000 Mitglieder starken Vereins Deutsche Sprache VDS (vds-ev.de), startete schon im März 2019 einen Aufruf gegen die ideologiegeleitete Verhunzung der Alltagssprache unter dem Titel: „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ Genutzt hat es wenig. Inzwischen wird sogar das Publikum des sogenannten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks mit gesprochenen Gendersternchen traktiert, was regelmäßig wie ein hartnäckiger Sprachfehler klingt. Selbst der Duden, über viele Jahrzehnte die Institution für korrektes Schreiben und Sprechen, ist ohne Not auf den Zug der Ideologisierung der Sprache aufgesprungen – und hat damit vor allem die eigene, langjährige Reputation beschädigt. Gerade dort sollte man wissen, dass mit dem generischen Maskulinum, etwa für Gast, auch weibliche Gäste gemeint sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für den Begriff „Kunde“ sogar letztinstanzlich entschieden. Dies freilich hinderte den Duden nicht daran, mit „Gästin“ einen Begriff einzuführen, den man in freier Wildbahn so nicht hört, zumindest nicht von Menschen, die sprachlich noch halbwegs bei Trost sind. Als Reaktion hat der VDS den Aufruf „Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden“ gestartet, der auf deren Seite noch mitgezeichnet werden kann.

Fazit
Neusprech hat inzwischen viele Gesichter. Doch eines ist allen Ausprägungen gemeinsam: Hier entwickelt sich keine natürliche Sprache, sondern eine, die den Menschen von Politik, Parteien und Interessengruppen oktroyiert wird. Mit einer gewachsenen Sprache hat das nichts mehr zu tun.

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