Überraschungsgewinner und -verlierer
Zwischenbilanz
Die ersten beiden Monate des Börsenjahrs 2023 liegen hinter uns – Gelegenheit für eine Zwischenbilanz mit durchaus überraschenden Ergebnissen. In unserer Tabelle (s. u.) sind die Performancezahlen bedeutender Indizes, Rohstoffe, etc. abgetragen, wobei in der ersten Zahlenspalte – zugleich die Sortierspalte –, die prozentuale Veränderung zwischen dem Vorjahresultimo und dem 28. Februar (Februarultimo) gezeigt wird. In der zweiten Zahlenspalte ist dann die prozentuale Kursveränderung im Februar zu sehen. Im Gegensatz zur Relative-Stärke-Tabelle in unserem Monatsmagazin Smart Investor handelt es sich hier nicht um eine währungsbereinigte Darstellung. Die Prozentausweise beruhen also auf den jeweiligen Veränderungen in Landeswährung. Dass die Unterschiede zwischen beiden Betrachtungen diesmal nicht gewaltig sind, lässt sich an der Entwicklung des USD in EUR ablesen, der über den Zwei-Monats-Zeitraum per Saldo 0,86% zulegen konnte.

Totgesagter auf der Tanzfläche
Die Musik spielte im Jahr 2023 bislang klar im Bitcoin. Der Totgesagte kann auf eine Performance von satten +43,06% verweisen. Mit diesem Spurt wie von Wunderhand ist der Krypto-Dino gerade noch einmal einem möglichen Straucheln an zu hohen Energiekosten entkommen. Wie oft ihm das noch gelingen wird, steht auf einem anderen Blatt, denn die Gestehungskosten für jeden weiteren Bitcoin werden auch künftig sicher steigen, während steigende Marktpreise eine entsprechende Nachfrage voraussetzen. Mit weniger als einem Drittel der Performance des Bitcoins folgt der MDAX (+14,06%) auf Platz 2. Zweistellige prozentuale Zuwächse konnten zudem der EuroSTOXX 50 (+12,11%), der DAX (+10,35%) und der NASDAQ 100 (+10,08%) erzielen. Was in der Spitzengruppe auffällt: der wesentliche Teil der Performance wurde im Januar erzielt. Ausweislich der zweiten Zahlenspalte waren die Kursveränderungen im Februar nämlich reichlich unspektakulär.
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Überraschende Verlierer
Aus der Reihe tanzt in dieser Hinsicht Gold, das allerdings auch nicht zur Spitzengruppe der ersten beiden Monate gehört. Per Saldo konnte es seit dem Jahreswechsel, gemessen in US-Dollar, nur +0,49% zulegen, was vor allem an der schwachen Februar-Performance liegt. Angesichts von Krieg und Inflation ist das ein enttäuschendes Ergebnis. Dass der Dow Jones sogar in das kleine Lager der Verlierer wechselte, liegt ebenfalls an der Februar-Performance. Bislang der Verlierer des Jahres ist übrigens das Rohöl, was angesichts der Rahmenbedingungen von Energieknappheit und Krieg bemerkenswert ist.
Zumindest beim Öl gibt es aber eine plausible Erklärung. Der Kurs des WTI-Futures erreichte kurz nach der Ukraine-Invasion sein Bewegungshoch und bröckelte seither unter Schwankungen wieder ab, inzwischen sogar auf ein Niveau, das unterhalb der Preise aus der Zeit vor der Invasion liegt. Offenbar hat sich die Perspektive der Marktteilnehmer unmittelbar nach dem russischen Einmarsch stark auf mögliche Knappheiten in der Ölversorgung verengt. Solche Fixierungen sind aber selten nachhaltig. So scheiterte bereits im Juni 2022 der zweite Anlauf auf die Spitzenpreise von Anfang März 2022. Seitdem geht es mit Unterbrechungen bergab, obwohl es an Argumenten für anziehende Kurse auch weiter nicht mangelt.

Sektorrotation in Vollendung
Fast noch eklatanter sind die Entwicklungen, die man im Bereich der DAXsector-All-Indizes beobachten konnte. Diese enthalten alle Titel der Bereiche Prime Standard, General Standard und Scale, geben also einen Überblick über die ganze Breite des Marktes. Unsere zweite Tabelle zeigt die DAXsector-Indizes nach dem gleichen Muster wie Tabelle 1. Erstaunlicherweise rangieren hier die Bankaktien auf dem zweiten Platz und lagen sogar noch im Januar klar vorne. Der Februar-Sprint des DAXsector Transportation & Logistics verdrängte sie dann aber auf den zweiten Platz. Eine schlecht performende europäische Bankaktie wie die der Credit Suisse Group (vgl. Smart Investor 3/2023: Das große Bild: „Jahr der Wende“ und „Goodbye“) musste man mit der Lupe suchen. Auch eine Ansteckung des europäischen Bankensystems durch die strauchelnden Schweizer wurde am Markt offenbar nicht befürchtet. Im Nachhinein lässt sich die starke Performance des Bankensektors natürlich erklären: So wird auf die Rückkehr des Zinses verwiesen, der es den Banken dank einer Ausweitung der Zinsspanne erlaube, ihr Standardgeschäft, den „risikoarmen“ Verleih von Geld, wieder profitabel zu betreiben. Wie weggeblasen erscheinen die Sorgen, dass ein deutlicher Zinsanstieg zu einem massenhaften Untergang sogenannter Zombie-Unternehmen mit verheerenden Auswirkungen auf die Bankbilanzen führen könnte. Dies interessanterweise, obwohl die Zahl der Insolvenzen tatsächlich auf ein Rekordniveau gestiegen ist.

Trends und Thesen
Wird der Aufschwung der Bankaktien also weitergehen? Durchaus möglich, aber man sollte es mit dem Optimismus auch nicht übertreiben. Im Moment noch locken das hohe Momentum und die Relative Stärke des Sektors neue Käuferschichten an, möglicherweise die letzten des laufenden Aufschwungs. Denn selbst erfahrene Börsianer tappen immer wieder in die gleiche Falle: Wann immer die Sichtweise auf einen bestimmten Markt oder Sektor zu einseitig wird, sich also alle gegenseitig, ob der „sicheren Sache“, auf die Schultern klopfen, wächst die Gefahr für einen Trendwechsel. Trends brechen in genau jener Stimmung aus Sorglosigkeit, ja Begeisterung, die durch viele „gute“ Argumente gestützt wird, die allerdings, und das ist der Knackpunkt, bereits weitgehend eingepreist sind. Bei manchen Anlegern gibt es die etwas naive Vorstellung, der Markt würde ihre Ideen und Thesen erst dann einpreisen, nachdem sie selbst diese entdeckt und für plausibel bzw. überzeugend befunden haben. Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass jene, die einer plausiblen, allgemein akzeptierten These folgen und darauf handeln, bereits zu den Nachzüglern gehören werden.
Szenarien, die dagegen tatsächlich Potenzial haben, sind eher jene, die andere Börsianer für völlig absurd oder ausgemachten Quatsch halten – und sie hören auf zu funktionieren, sobald sie von der Masse der Anleger als eine geradezu selbstevidente Wahrheit akzeptiert werden. Denn um Trends am Leben zu erhalten, braucht es einen steten Zustrom an neuer Gefolgschaft. Bleibt diese aus, brechen die Trends oder verlaufen im Sand. Auf diese Beobachtung gründet sich mit dem Börsensentiment eine eigene Analyserichtung, über die wir regelmäßig im Smart Investor in Zusammenarbeit mit dem Researchhaus sentix GmbH berichten („sentix Sentiment“). Mit den Contrarians gibt es sogar eine Gruppe von Investoren, die den menschlichen Herdentrieb sogar gezielt auszunutzen trachtet.

Crash mit Ankündigung?
Aktuell ist viel von einem möglichen Crash die Rede. Es werden prominente Zeugen bemüht, die uns von einem unmittelbar bevorstehenden Crash überzeugen sollen. Darunter ist auch Michael Burry, dessen Wette gegen den US-Subprime-Markt – sie wissen schon, eine völlig absurde Idee bzw. ausgemachter Quatsch (s. o.) – im Kassenschlager „The Big Short“ verfilmt wurde. Am 26.2. teilte FOCUS Online Burrys dramatische Einschätzung unter der Überschrift „Star-Investor ruft zum Verkauf auf – Analyse zeigt die Gefahr der Lage“. Nun, Analysen zeigen so vieles. Und auch Burry ist durchaus vielseitig, denn einen Tag zuvor, am 25.2. titelte BÖRSE Online „Big-Short-Investor Michael Burry steigt bei diesen zwei Tech-Aktien ein“ und fragte sich: „Was weiß Michael Burry?“ Wir fragen uns: „Ja, was eigentlich?“ Dennoch lieben die Menschen Gurus, gerade in unsicherer Zeit. BÖRSE Online lehnt sich mit dem aktuellen Titel „CRASH GEFAHR“ (s. o.) sogar ganz weit aus dem Fenster. Neben einem roten Button „JETZT RICHTIG handeln“ blicken uns von diesem Titelbild nachdenklich an: ein Star-Fondsmanager (Frank Fischer), eine Börsenlegende (Jens Ehrhardt) und ein Nobelpreisträger (Robert Shiller). Jeder einzelne hat in seinem Wirtschafts- und Börsenleben außerordentliches geleistet und dennoch lässt einen so viel Experten-Power auf der gleichen Seite des Marktes ins Grübeln kommen.
Titelblattindikator aktuell
Im Prinzip könnte es sich hier um einen klassischen Anwendungsfall des Titelblattindikators handeln, der ebenfalls zu den Sentiment-Indikatoren gehört und in der Tendenz das Gegenteil des Geschriebenen aussagt. Hintergrund dieses Indikators ist, dass es eine Story erst dann auf das Titelblatt schafft, wenn der Verleger ein gewisses Interesse des Publikums erwarten kann. In diesem Fall bedeutet dies, dass sich die Leser selbst schon ihre Gedanken über einen möglichen Kurseinbruch machen und das Blatt nun erwerben, um Bestätigung von den Experten zu erhalten. Auf der anderen Seite sind sich die Experten ihrer Sache so sicher – wiederum mit guten und plausiblen Argumenten –, dass sie sich selbst mit ihrer These ins Rampenlicht wagen. Aber wer soll in einer solchen Situation eigentlich noch von einem Crash überrascht werden?! Der Crash lebt, mehr als jede andere Börsenphase, vor allem von der Überraschung, tritt also vorzugsweise dann ein, wenn ihn die wenigsten erwarten, was dann zu den panikartigen Verkäufen führt. Entsprechend sind in der Vergangenheit sehr, sehr viel mehr Crashs prognostiziert worden, als in der Folge tatsächlich eingetreten sind. Ein Crash mit Ansage ist also fast eine „contradictio in adiecto“ – ein Widerspruch in sich.

Zu den Märkten
Unser wahrscheinliches Szenario ist entsprechend, dass die Märkte erst einmal noch etwas weiterlaufen werden, auch, wenn die Dynamik des Jahresauftakts bereits merklich geschwunden ist (s.o.). Erst ab Mai bzw. ab der Jahresmitte rechnen wir dann mit echten Ermüdungserscheinungen, in deren Rahmen auch allzu forsche Kursavancen einem Realitätscheck unterzogen werden. Denn alle Stimmungsbetrachtungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Märkte auf Dauer nicht beliebig weit von ihrem fundamentalen Datenkranz entfernen. Aktuell befindet sich der DAX in einer durchaus brenzligen charttechnischen Situation, kratzt er doch an einer Aufwärtslinie, die sich bis zum Oktober 2022 zurückverfolgen lässt (vgl. Abb.). Darauf machte jüngst auch der Zyklen-Analyst Thomas Bopp auf YouTube aufmerksam. Der Durchbruch erfolgte am vergangenen Freitag unter gigantischen Umsätzen – den höchsten seit knapp drei Jahren! –, was als Hinweis darauf angesehen werden kann, dass der Kampf um diese Trendlinie von vielen Marktteilnehmern beachtet wurde. Dennoch wurde diese Idealvorgabe für einen Crash diesmal noch nicht aufgenommen. Denn schon am Montag rappelte sich der DAX wieder auf, liegt aber zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wieder leicht unter der Trendlinie. Allerdings ist dies eine denkbar knappe Entscheidung und die Linie bleibt weiter umkämpft. Dieser Kampf kann sich durchaus noch ein paar Tage hinziehen, zumal die erste Rückeroberung eher kraftlos wirkte, der vergangene Freitag jedoch einen starken Abwärtsimpuls darstellt.
Gut essen UND gut schlafen
Wer sich nicht mit solchen kurzfristigen Überlegungen belasten will, dem sei der am vergangenen Wochenende erschienene Smart Investor 3/2023 empfohlen. Dessen Titelstory „Ausschüttungen“ steht ganz im Zeichen der bevorstehenden Dividendensaison. Mit den vorgestellten Dividendenstrategien können geduldige Anleger ein passives Einkommen genieren und auf diese Weise finanzielle Freiheit erlangen. Diese Ansätze haben sich selbst in stürmischen Marktphasen bewährt, sorgen sie doch neben regelmäßigen Einkünften auch für einen vergleichsweise ruhigen Schlaf. Neben dem theoretischen Fundament der einzelnen Strategien stellen wir konkrete Empfehlungen für solide Dividendenzahler mit Potenzial vor, etwa den US-Tabakkonzern Altria, der über ein halbes Jahrhundert ohne Unterbrechung seine Ausschüttung in jedem einzelnen Jahr steigern konnte. Und wir stellen ihnen einen ganz besonderen Sektor vor, in dem wahre Fabeldividenden ausgezahlt werden, bei dem es aber auch einige Risiken zu beachten gilt.
Invest Stuttgart – Die deutsche Leitmesse für Anleger
Noch gut zwei Wochen, dann öffnet die „Invest“ am 17. und 18. März ihre Tore in Stuttgart. Die Leitmesse bietet auch dieses Jahr Orientierung über aktuelle Entwicklungen, eine Vielzahl interessanter Vorträge führender Experten sowie die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichgesinnten. Ein Format, das Sie keinesfalls verpassen sollten. Als Leser des Smart Investor Weekly können Sie an der Veranstaltung sogar kostenlos teilnehmen. Um Ihr gratis Online-Ticket abzurufen, gehen Sie bitte wie folgt vor:
So erhalten Sie Ihr gratis Online-Ticket
- Klicken Sie auf den Link: Invest – Tickets & Öffnungszeiten | Messe Stuttgart (messe-stuttgart.de)
- Im blauen Eingabefeld (rechts) Ihren Messe-Ticket-Code einlösen. (Code: SMARTINVESTOR)
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Musterdepots & wikifolio
In der Rubrik Musterdepots & wikifolio gibt es heute Erfreuliches aus unserem Aktien-Musterdepot zu berichten. Dazu gibt es ein Update zu unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.
Fazit
Ein Blick auf die ersten beiden Handelsmonate des Jahres 2023 offenbart Überraschendes. Die favorisierten Goldminen hatten gelitten, die totgesagten Bankaktien setzten zu einem regelrechten Höhenflug an.
Ralf Flierl, Ralph Malisch
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