„Militärische Konkursverschleppung …“

Gerd Schultze-Rhonhof

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Politik & Gesellschaft II

Smart Investor im Gespräch mit Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof über sein Schreiben zum Thema Ukrainekrieg, welches alle maßgeblichen Politiker hierzulande vor Kurzem erhalten haben

Smart Investor: Herr Schultze-Rhonhof, Sie haben vor einigen Tagen einen Brief an Parteivorsitzende und Generalsekretäre der Parteien, Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag und Ministerpräsidenten der Bundesländer geschickt und darin eindringlich vor einer Ausweitung des Ukrainekonflikts in Richtung Europa/NATO gewarnt. Warum?
Schultze-Rhonhof: Ich habe seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine bemerkt, dass die Berichterstattung hierzulande eine ausschließlich ukrainische Darstellung des Ukrainekonflikts ist und überdies zahlreiche Desinformationen enthält. Die Vorgeschichte und die Gründe des Konflikts hätten mit in die deutsche Berichterstattung gehört.

Smart Investor: Was war denn die Vorgeschichte?
Schultze-Rhonhof: 2014 hatte die ukrainische Regierung rund einem Fünftel ihrer Staatsbürger mit russischer Muttersprache das Russische als zweite Amts-, Gerichts- und Schulsprache entzogen und verboten. Daraufhin gab es Unruhen auf der Krim und in der Südost- und Ostukraine mit bald folgenden Abspaltungen. Dann gehören auch die acht Jahre Krieg der Zentralregierung gegen die Bevölkerungsanteile in den abgespaltenen Gebieten zur Vorgeschichte mit einer grausamen Kriegsführung gegen die dortige Bevölkerung, ehe Russland dort einmarschiert ist. Darüber ist in den deutschen Medien so gut wie nichts berichtet worden.

Smart Investor: Sie haben Ihr mahnendes Schreiben samt einer ausführlichen rund 20-seitigen Begründung sowie einem über zehn Seiten ausformulierten „Vertrag zur Beendigung beider Kriege, des Innerukrainischen Bürgerkrieges und des Ukrainisch-Russischen Krieges“ an Politiker mit entscheidenden Funktionen und 500 weitere Personen versendet. Warum tun Sie sich das alles in Ihrem Alter von 84 Jahren noch an?
Schultze-Rhonhof: Man hat früheren Generationen vorgeworfen, den Mund nicht aufgemacht zu haben und daher mitschuldig an den Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu sein. Zumindest den Mund aufmachen will ich daher nun schon. Es gibt aus Militärkreisen kaum noch jemanden, der das tut und die derzeitige Politik hinterfragt bzw. zur Mäßigung aufruft – eigentlich nur die früheren Generäle Erich Vad und Harald Kujat.

Smart Investor: Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass unsere Politiker und auch die Medien geradezu kriegslüstern sind und dass eine Auseinandersetzung des Westens bzw. der NATO mit Russland auf absehbare Zeit herbeigeredet oder gar ersehnt wird. Vor zwei Jahren hätte ich das noch für undenkbar gehalten …
Schultze-Rhonhof: Ich teile Ihren Eindruck, aber ich kann mir diese Entwicklung nicht erklären. Beim Einschwenken auf den Kriegskurs ist meines Erachtens besonders ein bestimmter Typus an Politiker zu beobachten, nämlich viele, die den Kriegsdienst für Deutschlands Recht und Freiheit verweigert haben, oder aber Frauen, die nicht dienen mussten und nun zum großen Halali blasen. Dabei kann die Ukraine den Krieg im Sinne der Rückeroberung der abgespaltenen Gebiete nicht mehr gewinnen. Deutschland bezahlt und betreibt damit die militärische Konkursverschleppung der Ukraine. Der mexikanische Ministerpräsident hat das sehr drastisch so beschrieben: „Wir liefern die Waffen und ihr liefert die Leichen!“

Smart Investor: Was schwant Ihnen?
Schultze-Rhonhof: Im Bundestag und in den Medien wird den Russen viel und oft Unbewiesenes unterstellt. Umgekehrt könnte es in den russischen Medien ebenfalls so sein. Und das erinnert mich an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der sich die späteren Kriegsparteien auch ständig Unterstellungen machten, bis es schließlich zum Zündfunken kam, nämlich dem Attentat in Sarajewo. Wer keine Ahnung von Geschichte hat, der sieht solche Warnsignale natürlich nicht.

Smart Investor: Man liest immer wieder, dass den westlichen Staaten die Waffen und die Munition ausgehen. Gerade eben kommt die Nachricht über den Ticker, dass das dänische Heer seine gesamte Artilleriemunition an die Ukraine spendet. In Russland dagegen sieht es nicht nach einem Mangel an Militärgerät aus. Könnte daraus nicht eine Versuchung für Putin entstehen, noch weitere Länder im Westen anzugreifen, wie ja oft auch kolportiert wird?
Schultze-Rhonhof: Das halte ich für ausgeschlossen, das würden sich die Amerikaner nicht gefallen lassen. Und für so unklug würde ich Putin nicht halten. Aber weil Sie gerade das Thema Waffen erwähnen: Die Ukraine fordert derzeit ja den Marschflugkörper Taurus aus deutscher Produktion. Die Bundeswehr besitzt derzeit 600 Stück, davon sind 150 einsatzbereit, und davon sollen wir dann an die Ukraine liefern? Ähnlicher Sachverhalt bei den Panzern: Nach der Wiedervereinigung hatte die Bundeswehr 5.000 Stück, aktuell sind nur noch 260 im Bestand, und davon sollen wir an die Ukraine abgeben? Die Bundeswehr ist blank und nicht mehr verteidigungsfähig, sie ist ein Skelett ohne Fleisch geworden. Aufgrund meiner diesbezüglichen Warnungen bin ich übrigens vor 27 Jahren vorzeitig entlassen worden. Heute kommt Verteidigungsminister Boris Pistorius zum gleichen Schluss wie ich damals.

Smart Investor: Sie spielen in Ihrem Schreiben kurz acht Szenarien durch, wie sich der Krieg weiterentwickeln könnte. Alle acht enden schlecht. Welches ist Ihrer Meinung nach derzeit am wahrscheinlichsten?

Schultze-Rhonhof: Derzeit sieht es danach aus, dass die Ukraine an die Grenze ihrer Möglichkeiten gekommen ist und den Krieg zu verlieren droht. Dann besteht die Gefahr, dass irgendwann die USA zusammen mit der NATO eingreifen. Russland könnte infolgedessen an den Rand seiner Möglichkeiten kommen und sich gedrängt fühlen, die nukleare Karte zu ziehen. Und dann wären auch Ziele hierzulande in Gefahr – man denke an die Städte, aus denen die Amerikaner jetzt ihre Ukraineunterstützung steuern und liefern, Ramstein und Wiesbaden.

Smart Investor: Sie sagen auch: Mit Schuldzuweisungen und ewigem Aufwägen kommt man nicht mehr weiter – jetzt muss ein Friedensvertrag her, wofür Sie ja einen Entwurf geschrieben haben. Welches sind die wichtigsten Eckpunkte?
Schultze-Rhonhof: Der Ansatz zu einem baldigen Kriegsende kann ein Schiedsspruch in Form eines komplett und umfassend ausformulierten Friedensvertrags sein, der für beide Kriegsparteien verhandelbar ist. Der Vorschlag muss die vitalen Interessen – nicht Forderungen – der beiden kriegführenden Völker – Ukrainer und Russen – befriedigen, beiden Seiten dementsprechend vernünftige Verzichtsleistungen abverlangen, dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Wohnbevölkerung genügen und ein Ergebnis präsentieren, das nach weiterem Kriegsverlauf bei nüchterner Betrachtung ohnehin zu erwarten ist. Eines ist klar: Eine Wiedervereinigung der Ost- mit der Westukraine ist nach dem Hass und der Feindschaft, die sich in acht Jahren Bürgerkrieg zwischen den Ukrainern und den ethnischen Russen in der Ukraine entwickelt haben, nicht mehr möglich. Dementsprechend sollten die Bevölkerungen in den betroffenen Gebieten in Volksabstimmungen entscheiden, wohin sie gehören wollen.

Smart Investor: Es gab doch schon Versuche, einen Frieden in der Ukraine herbeizuführen, man denke an die Friedensverhandlungen der Ukrainer mit den Russen wenige Wochen nach dem Kriegsbeginn, deren Fortführung dann vom Westen torpediert wurden.
Schultze-Rhonhof: Genau, der damalige britische Premierminister, Boris Johnson, hatte im März 2022 den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zum Abbruch der Verhandlungen gedrängt mit der sinngemäßen Begründung, dass der Westen noch nicht für einen Frieden bereit wäre. Auch deswegen plädiere ich in meinem Entwurf zum Friedensvertrag, die Briten und die Amerikaner aus den Verhandlungen herauszuhalten.

Smart Investor: Vor vielen Jahrzehnten bereits gab es sogenannte Seher, z.B. ein Alois Irlmaier, die sich mutmaßlich auf die heutige Zeit bezogen und genau das „gesehen“ haben, wovor Sie nun warnen, nämlich einen Krieg zwischen Russland und der NATO. Mit dem maßgeblichen Forscher in diesem Bereich, Stephan Berndt, hatten wir vor eineinhalb Jahren im Smart Investor 9/2022 ein Interview dazu. Er hatte 2010 ein Buch darüber geschrieben, also lange vor dem jetzigen Konflikt. Könnte man da nicht auf die Idee kommen, dass Geopolitik vorherbestimmt oder in gewisser Weise von langer Hand geplant oder gemacht wird?

Schultze-Rhonhof: Ich kenne diese Seher oder Vorhersagen nicht. Das ist nicht mein Thema. Ich beschäftige mich mit Fakten in der Geopolitik.

Smart Investor: Herr Schultze-Rhonhof, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Die drei angesprochenen Schriftstücke (Brief, Begründung und Friedensvertrag) von Gerd Schultze-Rhonhof sind auf folgender Website verlinkt:
Gerd Schultze-Rhonhof im Februar 2024 – Smart Investor

Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof ist 1939 in Weimar geboren, ist verheiratet und hat drei Töchter und neun Enkelkinder. Er war 37 Jahre Soldat und 20 Jahre Geschichtsforscher sowie Autor von Büchern z.B. über die Vorgeschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs („1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“) und über den Zusammenbruch der Tschechoslowakei in den 1930er-Jahren („Das tschechisch-deutsche Drama 1918–1939“).. Inzwischen schreibt er gelegentlich zu aktuellen politischen Themen.

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