Über Zölle, freie Rede und ein Husarenstück
Von 25 auf 50 in fünf TagenUS-Präsident Donald Trump hat es wieder getan. Erst am Freitag kündigte er an, die Importzölle auf Stahl und Aluminium von 25% auf 50% zu verdoppeln, und schon am heutigen Mittwoch trat die Maßnahme in Kraft. Ausgenommen ist vorerst nur Großbritannien, da bereits ein vorläufiges Handelsabkommen mit den USA besteht. Dass der Streit im Bereich der Grundstoffindustrie und des Massengeschäfts aufflackert, ist bemerkenswert. Folgt man Trumps Argumentation, dann will er die US-Stahlindustrie auf diese Weise schützen. Aber wovor eigentlich? Waren deutsche oder europäische Stahlhersteller in diesem Bereich besonders unfair, oder mangelt es den US-Herstellern schlicht an Wettbewerbsfähigkeit?
Wo letzteres der Fall ist, werden solche Zölle den Mangel allenfalls für eine Weile kaschieren. Zwar spülen die Maßnahmen dem Fiskus etwas Geld in die Kasse, der Preis ist dennoch hoch. Den zahlen unter anderem all jene, die Produkte erwerben (müssen), bei denen die Konkurrenz auf diese Weise gedämpft wurde. Auf lange Sicht sind sogar die „begünstigten“ Unternehmen negativ betroffen. Denn von ihnen wird der Druck zu Anpassung und Innovation genommen, was ihre Wettbewerbsfähigkeit noch weiter absenkt. Natürlich sind Trump und dessen Beratern diese Zusammenhänge bekannt. Warum also greift er erneut zum Zollhammer?
Der offensichtliche Grund: Dies ist Teil seiner Verhandlungstaktik. Zuckerbrot und Peitsche. Druck aufbauen, sich etwas wegverhandeln lassen, am Ende ein „Deal“. Das erklärt aber immer noch nicht, warum ausgerechnet Stahl und Aluminium? Es dürfte wohl weniger um den Schutz der Industrie gehen als um die Sicherstellung heimischer Produktion. Dies fügt sich dann nahtlos zu der erst in der Vorwoche bekanntgegebenen Uran-Strategie. Die USA scheinen sich mit großen Schritten auf ein wesentlich raueres Weltklima vorzubereiten. Wenn nicht sichergestellt ist, dass Lieferketten funktionieren und Waren aus potenziell feindlich gesinnten Ländern gegen frisch gedruckte US-Dollars gekauft werden können, dann behält man Kern- und Basisproduktionen im eigenen Land, ganz egal, ob dies heute wirtschaftlich ist.
Die Aktien betroffener Hersteller entwickelten sich zwar unterschiedlich, die großen Kurssprünge blieben diesmal aber aus. Naturgemäß gehörten US-Hersteller eher zu den Gewinnern, während Stahlhersteller von außerhalb verhalten reagierten. Dennoch scheinen die Marktteilnehmer zweierlei gelernt zu haben. Erstens, neue Zölle und Gegenzölle können jederzeit verhängt werden. Zweitens, ob und wie lange diese Bestand haben und damit nachhaltige Relevanz für Unternehmen entwickeln, steht inzwischen auf einem anderen Blatt.
In Deutschland ist von solchen Autarkiebestrebungen derweil nichts zu spüren. Dazu passt, dass Thyssenkrupp (WKN: 750000) zuletzt einen drastischen Konzernumbau bekanntgab, bei dem sogar die traditionsreiche Stahlsparte sowie der Stahlhandel verkauft oder eingestellt und aus dem Konzern ausgegliedert werden sollen. Andere Geschäftsbereiche (Automotive Technology, Materials Services und Decarbon Technologies) sollen als eigenständige Einheiten agieren, wobei Thyssenkrupp zunächst die Mehrheit behalten möchte. Ziel ist es aber, externe Investitionen zu erleichtern. Zudem ist eine Börsennotierung der Marinesparte bis Ende 2025 geplant. Diese war es, an der sich im Rahmen des Rüstungsbooms in den letzten Monaten auch Fantasie für die Thyssen-Aktie entzündet hatte. Die mögliche Ausgliederung anderer Unternehmensteile löste an der Börse dagegen keine Begeisterungsstürme aus. Ob externe Investoren also künftig Schlange stehen werden, ist eine Frage des Preises. Die Ausgliederung von Thyssenkrupp Nucera (WKN: NCA000), die sich mit „grünem Wasserstoff“, auch zur Herstellung von „grünem Stahl“ beschäftigt, war börsentechnisch bislang jedenfalls keine Erfolgsgeschichte.
Ein echtes Husarenstück gelang der Ukraine mit einem konzertierten Drohnenangriff auf vier russische Luftwaffenbasen. Obwohl sich erste Schadensmeldungen als übertrieben herausstellten, war die Aktion ein empfindlicher Schlag für Russland, insbesondere für das Selbstbewusstsein der politischen und militärischen Führung. Man hatte dies ebenso wenig kommen gesehen wie einst Kreml-Flieger Mathias Rust, der vor ziemlich genau 38 Jahren mit einem Sportflugzeug seelenruhig auf dem Roten Platz landete. Entsprechend heftig fielen die verbalen Reaktionen in Russland aus. Der eine oder andere Heißsporn forderte, gleich direkt, die „nukleare“ Option zu ziehen, da die Zerstörung bzw. Beschädigung etlicher Langstreckenbomber als Angriff auf die russische Atomstreitmacht interpretiert wurde. Ganz so heiß wurde es allerdings nicht gegessen, obwohl man davon ausgehen muss, dass es noch zu einer russischen Reaktion kommen wird. Fürs erste gab man sich bei den tags darauf stattgefundenen Istanbuler Gesprächen mit der Ukraine kühl. Was die Ukrainer bewogen hat, unmittelbar vor solchen Gesprächen diese Aktion zu starten, ist offen. Manche sehen darin eine Stärkung der Verhandlungsposition, weil man seine militärischen Fähigkeiten demonstriert habe. Andere halten es dagegen für einen Versuch, den Verhandlungsprozess zu torpedieren.
Die Märkte reagierten insgesamt erstaunlich gelassen. Lediglich Gold und Silber konnten deutlich anziehen, wobei Silber nun auch in einer charttechnisch interessanten Ausgangslage ist – dies wäre allerdings nicht das erste Mal. An den Aktienmärkten wirkte das Schwinden der Aussichten auf ein Schweigen der Waffen kurzzeitig unterstützend für Rüstungsaktien. In der Folge konsolidierten die Titel aber. Grundsätzlich hält bei Rheinmetall (WKN: 703000) & Co. die Sonderkonjunktur weiter an. Wohl niemand hätte sich vor dem Beginn des Ukrainekriegs vorstellen können, dass europäische Rüstungsaktien zu einem mehrjährigen Megatrend werden könnten. Der allerdings speist sich allein aus dem politischen Willen der Regierungen der EU-Länder. Diese Sonderkonjunktur ist also letztlich künstlich.
Die „Bromance“ zwischen Donald Trump und Elon Musk stand von Anfang an auf wackeligen Beinen. Nicht, dass man in vielen Punkten nicht einer Meinung gewesen wäre. Beide sind Unternehmer, die ihren Hut in den Ring der Politik geworfen haben, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Für Musk war das Ganze ein Engagement auf Zeit. 130 Tage wollte er Trump beim Aufräumen des Behördendickichts zur Hand gehen. Die sind nun vorüber und er kann sich wieder mit ganzer Schaffenskraft seinen Unternehmungen widmen. Das inhärente Ablaufdatum bestand aber wohl darin, dass zwei derart ausgesprochene Alpha-Persönlichkeiten kaum über einen längeren Zeitraum reibungsfrei zusammenarbeiten können.
Musk hat Trump wirtschaftlich um ein Vielfaches überflügelt, ordnete sich aber auf der politischen Ebene unter. Das ging so lange gut, solange man am gleichen Strang zog. Nun ist mit dem „Big Beautiful Bill“ aber ein echter Dissens aufgetaucht. Denn dieses von den Republikanern eingebrachte Gesetz bedeutet gewaltige Mehrausgaben und neue Rekorddefizite. Es konterkariert damit alles, wofür Musk bei seinem Ausflug in die Politik mit DOGE (Department of Government Efficiency) stand. Entsprechend bewertete er das Gesetz, welches vom Repräsentantenhaus am 22. Mai mit denkbar knapper Mehrheit verabschiedet wurde, als „ekelhafte Abscheulichkeit“. Die Tirade zeigte Wirkung, denn nach letzten Meldungen auf dem Portal zerohedge fordert das Weiße Haus nun 9.400 Mrd. USD an DOGE-Einsparungen im neuen Haushalt. Dass im Haushalt trotz Rekordausgaben die Förderung für die E-Mobilität zusammengestrichen wurde, kann man als Affront der Republikaner gegen Musk bewerten, dürfte dieser aber bloß zur Kenntnis nehmen. Im Gegensatz zu Ford oder GM ist Tesla weniger auf solche Förderungen angewiesen. Und Musk wäre nicht Musk, wenn er Tesla nicht längst ganz woanders sähe, als KI-Giganten, der seine Fühler bereits in Themen wie die Haus-Robotik ausstreckt. Dem Aktienkurs haben bislang jedenfalls weder das „Zerwürfnis“ noch das „Big Beautiful Bill“ geschadet.
Freie Rede unter Beschuss
Perspektivisch könnte für Musk dagegen ein anderer Schauplatz relevant werden. Dass die EU keine glühende Verfechterin der freien Rede ist, zeigt sie immer wieder. So identifizierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen für ihre zweite Amtszeit den Kampf gegen sogenannte Desinformation als wichtigste Aufgabe der Kommission. Zuletzt war von ihr dabei das „Pre-bunking“ favorisiert worden. Im Gegensatz zum nachträglichen „Debunking“ sollen schädliche Nachrichten – was das ist, definiert die EU im Zweifel selbst – schon vor einer Veröffentlichung aussortiert werden. Zu diesem Orwellianischen Staatsverständnis gehören Begriffe wie der „Europäische Demokratieschutzschild“ und natürlich der Digital Services Act (DSA). Es scheint, als habe sich von der Leyen den Schmähnamen „Zensursula“, der noch aus ihrer Zeit als deutsche Familienministerin stammt, mindestens ebenso redlich verdient wie den Karlspreis. In dieselbe Kerbe schlug UN-Generalsekretär Guterres, dem Plattformen wie Musks x.com ebenfalls ein Dorn im Auge sind. Er kündigte an, gegen die Verbreitung von Desinformation und Hass vorgehen zu wollen. Dabei war doch x.com einer der wenigen Orte, an denen man frühzeitig etwas über den beklagenswerten Gesundheitszustand von Ex-US-Präsident Joe Biden und vieles andere mehr hatte erfahren können. Das wäre nach Lesart von EU und UN wohl eine „Desinformation“ gewesen, stand es doch im Gegensatz zu den „Topfit“-Bekundungen staatsnaher Medien wie des ZDF. Die freie Rede soll wohl primär nicht deshalb eingeschränkt werden, weil sie weit ab von der Wahrheit läge, sondern weil sie dieser mitunter gefährlich nahekommt. Das ist aber natürlich ebenfalls eine „Verschwörungstheorie“.
Zu den Märkten
Angesichts des Umstands, dass das Netz sich über mögliche russische Gegenschläge ereifert und aus der Wirtschaft wenig Positives zu hören ist, ist der DAX weiter – Entschuldigung – bombenfest. Im heutigen Verlauf konnte er sogar wieder ein Allzeithoch erreichen, das allerdings bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe keinen Bestand hatte. Auch die Umsatzentwicklung passt nicht zu einem überzeugenden Gipfelsturm. Lässt man die Ereignisse der letzten Handelstage Revue passieren, dann ist der DAX ausgesprochen volatilitätsarm. Das ist häufig ein Vorbote für Kurseinbrüche gewesen. Vielleicht zeigt sich hier aber nur die vorsommerliche Flaute an den Aktienmärkten. Immerhin befinden wir uns mit dem Eintritt in den Juni nun saisonal gesichert im eher unattraktiven Aktienhalbjahr.
Musterdepots & wikifolio
In der Rubrik Musterdepots & wikifolio finden Sie diesmal eine traurige Nachricht zu unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“ und unsere Anmerkungen zur Entwicklung des Musterdepots. Die große Übersicht für den Berichtszeitraum Mai 2025 inklusive der großen Übersichtstabellen finden Sie hier. Im Musterdepotbereich können Sie sich durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich zu lesen, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.
Fazit
In einer Welt, die durch Erkenntnis und Wissen immer besser werden sollte, beschäftigen wir uns im 21. Jahrhundert nun wieder mit Zöllen, Rüstung und Zensur. Eigentlich traurig.
Ralf Flierl, Ralph Malisch
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Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.
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