Gezerre um die Neuordnung des Welthandels in neuer Phase
Wichtigste Börsenwoche des Jahres – bis jetztSchon im Vorfeld wurde diese Börsenwoche zur wichtigsten des Jahres gekoren. Doch der Reihe nach: Am Sonntag hielt Donald Trump Hof in seinem Golfresort Turnberry an der Westküste Schottlands. Geladen war EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die war in den letzten Wochen häufiger in den Schlagzeilen und beherrschte diese nach dem Deal erneut. Am 10. Juli überstand sie ein Misstrauensvotum vor dem europäischen Parlament in Straßburg. Die Vorwürfe lauteten auf Intransparenz bei der Impfstoffbeschaffung („Pfizer-Gate“), Einmischung in Wahlen von Mitgliedsstaaten, sowie Missmanagement und Machtmissbrauch. Der Versuch sie zu stürzen, scheiterte mit deutlicher Mehrheit, was die Kommission wohl als Startschuss wertete, nun so richtig aufzudrehen. Am 14. Juli wurde der „CORE-Beitrag“ vorgestellt, eine – Fanfare – neue EU-Steuer, die auf den Umsatz (!) von Unternehmen erhoben werden soll. Ab 100 Mio. EUR/Jahr Nettoumsatz soll man zum erlauchten Kreis derjenigen gehören, welche die Brüsseler Kassen noch stärker füllen dürfen. Der Gegenwind, insbesondere aus dem deutschen Mittelstand, ließ nicht lange auf sich warten. Dennoch wird Sparsamkeit unter dieser EU-Kommission weiter ein Fremdwort bleiben.
Beste NebenrolleAm 27. Juli hatte von der Leyen dann den bereits erwähnten großen Auftritt in Schottland. Wobei, wenn man die Aufnahmen des Treffens sichtet, dann hatte sie dort nur eine Nebenrolle. Trump schwadronierte in gewohnter Weise und erging sich zudem in einem Monolog über den Unsinn der Windkraft. In einer Mischung aus Anspannung und Gefasstheit ließ die Kommissionschefin die verbale Keule auf den „European Green Deal“ über sich ergehen. Doch das war nur die Spitze des, ginge es nach den schnell alternden Klimaprognosen, längst geschmolzenen Eisbergs. Denn die Eckpunkte der Vereinbarung sehen unter anderem vor, dass die EU den USA in den nächsten Jahren Energieprodukte im Wert von satten 750 Mrd. USD abkauft – und das ist bestimmt keine Windenergie. Konkret handelt es sich um Erdgas, Öl und Kernbrennstoffe. Letztere können in Deutschland dann gleich direkt ins Museum gestellt werden. Allein dieser Vertragsteil konterkariert alle CO2-Vermeidungserfolge aus Brüssel um ein Vielfaches.
Kleines 1×1 der FiskalpolitikAuch der zweite große Ausgabeposten für die EU hat es in sich. Für weitere 600 Mrd. USD sollen Investitionen in den USA getätigt werden, die den Kauf von US-Militärgerät umfassen. Schon die Investition in Rüstung gehört zu den dümmeren Konjunkturprogrammen, weil daraus keine Rendite zu erwarten ist – außer für die Hersteller selbst. Diese Rüstung dann aber in einem anderen Land zu kaufen, ist einmal mehr volkswirtschaftliche Schadensmaximierung. Ja, gewiss, Russland ist kurz davor, die NATO zu überfallen, lässt uns aber freundlicherweise Zeit, bis alle Waffensysteme beschafft und die Soldaten daran trainiert wurden. Es ist übrigens das gleiche Russland, dessen Vorrat an Waffen so sehr zur Neige gegangen ist, dass ein Sieg der Ukraine nun eine realistische Option sein soll. „Vertrauen Sie … journalistischer Sorgfalt in den Qualitätsmedien“ (Ursula von der Leyen, 31.3.2020). Gerne, aber welchen?! Sollte in der Zwischenzeit jemand eine Antwort auf die Frage gefunden haben, welche dreistelligen Milliardenausgaben die USA im Gegenzug in der EU tätigen, geben Sie uns gerne Bescheid.
„Haust Du meine Tante …“„… hau‘ ich Deine Tante.“ So klang es noch in den Ankündigungen der EU. Tatsächlich schaut von der Leyen zu und lächelt gequält. Spötter meinten schon, Trump habe ihr nur die „verlorenen“ Emails zeigen müssen, um den Deal einzutüten. Hauptaufreger des ganzen Pakets waren die „asymmetrischen“ Zollvereinbarungen. Der neue Basiszollsatz für die meisten EU-Exporte in die USA liegt nun bei 15%. Für Aluminium und Stahl bleibt es sogar bei 50% Aufschlag. Das ist zwar gegenüber der Drohkulisse mit Einfuhrzöllen in Höhe von 27,5% bis zu 50% meist niedriger, liegt aber immer noch massiv über den Zöllen von rund 4,8%, die vor dem „Liberation Day“ gegolten haben. Die EU erhebt für die meisten US-Importe einen neuen Basiszollsatz von null – „zero, zip, zilch, nada“. Als Freihandelsanhänger erfreut uns natürlich diese Seite der Gleichung, während die andere höchst ärgerlich ist. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass in vielen EU-Ländern eine Einfuhrumsatzsteuer entsprechend der Mehrwertsteuer greift (in Deutschland aktuell 19% bzw. ermäßigt 7%). Die Regierungen in der EU beaufschlagen Einfuhren also weiter kräftig.
Gut frisiert, schlecht verhandelt
Bundeskanzler Merz zeigte sich vom Deal zunächst angetan. „Die Einigkeit der Europäischen Union und die harte Arbeit der Verhandler haben sich ausgezahlt“, hieß es in einem offenbar vorbereiteten Statement. Kurz darauf kamen ihm Zweifel und er sprach davon, dass die deutsche Wirtschaft durch den Deal wohl „erheblichen Schaden nehmen“ werde. Seitdem twittert er auf Arabisch, wohl in der Hoffnung, dass man ihn nicht mehr versteht.
Die Fahrzeugaktien reagierten ähnlich wie der Kanzler. Kam es am Montag zunächst noch zu einem kleinen Befreiungsschlag bei Volkswagen (WKN: 766403, Vorzüge), Mercedes-Benz Group (WKN: 710000) und BMW (WKN: 519000), machte sich rasch Ernüchterung breit. Der Einbruch der Absatzzahlen in der einstigen deutschen Vorzeigebranche trug das seine zur schlechten Stimmung bei.
Von der Leyen lag in Sachen Frisur zwar eine Dose Haarspray vor Trump, verhandelt hat sie aber ziemlich schlecht. Das ist umso erstaunlicher, als uns die EU-Spitzenrepräsentantin – wie schon ihre „Ziehmutter“ Angela Merkel – medial gerne als eine verkauft wird, die Dinge mit kühlem Kopf zu Ende denkt und zudem auf das Teuerste beraten wird. Dagegen wird vom US-Präsidenten das Bild eines tumben Haudraufs gezeichnet, der intellektuell nicht ganz auf der Höhe der Zeit sei. Mit solchen Narrativen kann das windschiefe Ergebnis nur auf einer Erpressung durch die USA beruhen, wird nun argumentiert. Vielleicht ist es aber einfach so, dass man ganz grundsätzlich gut beraten ist, einen Verhandlungspartner nicht von vornherein zu unterschätzen oder durch nassforsche Statements zu verärgern.
Schadensbegrenzung nach EU-Art
Seitdem ist Schadensbegrenzung angesagt, die – wie in der Politik der EU fast schon üblich – das Zeug hat, eine Schadensvermehrung zu werden. In Frankreich, neben Deutschland der zentrale EU-Mitgliedsstaat, stieß die Vereinbarung auf breite Ablehnung. Premierminister Bayrou bezeichnete die Einigung als „finstere Stunde“ und „Unterwerfung“. Die dortige Linke sprach von „Kapitulation“, die Rechte von einem „politischen, ökonomischen und moralischen Fiasko“. Inzwischen scheint der Handschlag-Deal sogar schon wieder zu wackeln. Die vom Weißen Haus veröffentlichte Zusammenfassung wurde von der EU-Kommission umgehend zurückgewiesen. Gleichzeitig betont man, dass der Handschlag von der Leyens keine rechtliche Relevanz habe. Im Prinzip lässt die Kommission damit die eigene Chefin im Regen stehen. Das Abkommen wackelt, der Stuhl von der Leyens auch – schon wieder.
„Agree to disagree“
Das zweite große Thema ist die heutige FOMC-Sitzung der Fed, die nach unserer Zeit aber erst am Abend stattfindet. Vorausgegangen war ein heftiges Geplänkel zwischen dem Trump und Fed-Chef Jerome Powell. Der US-Präsident benötigt einen Erfolg in Form sinkender Zinsen, um das Aufwachsen des US-Defizits wenigstens zu verlangsamen. Powell kann sich dagegen ganz auf die Datenlage berufen und die Füße erst einmal weiter stillhalten. Nach dem öffentlichen Schlagabtausch darf der 72jährige ohnehin keine Amtszeitverlängerung mehr erwarten, obwohl es einst Trump selbst war, der ihn eingesetzt hatte. Für eine tatsächliche Entlassung müsste mehr passieren, als dem Präsidenten nicht dienlich zu sein. Es wird daher wohl bei Beschimpfungen und Drohungen bleiben. Denn eine Entlassung Powells könnte den Eindruck von Willkür entstehen lassen und damit erst recht zu einem Risikoaufschlag für US-Anleihen führen – besonders bei den längeren Laufzeiten. In dieser Auseinandersetzung hat Trump also erst einmal die schlechteren Karten, weshalb wir damit rechnen, dass es heute nicht zu einer Zinssenkung kommen wird. Auch die Konsens-Erwartung geht mit mehr als 97%iger Wahrscheinlichkeit von einem konstanten Zinssatz zwischen 4,25% und 4,5% aus. Sollte es dennoch zu einer Senkung kommen, ist mit Marktturbulenzen zu rechnen.
Tech-Aktien – Top oder Flop?
Schließlich strebt die US-Berichtssaison in der „wichtigsten Woche des Jahres“ einem ihrer Höhepunkte entgegen. Bislang waren die Zahlen trotz der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten verhalten positiv. Besonders im Finanzsektor wurde nach oben korrigiert. Heute berichtet ein Teil der „Champions League“ mit Microsoft (WKN: 870747), Meta Platforms (WKN: A1JWVX) und Qualcomm (WKN: 883121). Das dürfte ein wichtiger Impuls für die marktschwere Tech-Branche insgesamt werden. Insbesondere Microsoft zeigte sich in den letzten Wochen mit bemerkenswert geringer Volatilität im Aufwärtstrend, was den Chart für Ausbrüche anfällig macht. Möglicherweise stecken in dem Kurs schon zu viele KI-Vorschusslorbeeren. Morgen kommt dann mit Apple (WKN: 865985) noch ein weiteres Superschwergewicht, bei dem es zuletzt nicht sonderlich rund lief. Der Konzern muss liefern, wenn die seit Jahresbeginn anhaltende relative Schwäche zum Gesamtmarkt überzeugend beendet werden soll.
Zu den Märkten
Sollte der Zoll-Deal kippen, ist noch einmal mit größeren Börsenturbulenzen zu rechnen. Selbst ein schlechtes Abkommen ist den Märkten lieber als gar kein Abkommen. Obwohl man an der Börse grundsätzlich auf die Zukunft schaut, ist es vor allem die aktuelle Unsicherheit, die dann doch immer wieder zu Nervosität führt, aber letztlich auch Chancen eröffnet. Falls das Abkommen zur Makulatur wird, ist mit einer erneuten Eskalationsspirale in der Zollfrage zu rechnen. Zwar würden die Marktteilnehmer nicht mehr ganz so kalt erwischt werden wie Anfang April, aber ein erneutes Aufflammen des Zollstreits wäre eine klare Risk-off-Indikation.
Dazu passt, dass sich der DAX auf dem erreichten Niveau von rund 24.000 Punkten erkennbar schwertut. In den letzten fünf Handelstagen dominierten Abwärtsschübe bei steigenden Umsätzen. Schlüsselbranchen wie der Fahrzeugbau konnten nur kurzzeitig vom Deal profitieren (s.o.). Selbst ein langjähriges Zugpferd wie die SAP-Aktie wirkt angeschlagen. Noch befindet sich der Index zwar in einer Handelsspanne, ein Ausbruch unter 23.900 Punkte könnte jedoch Anschlussverkäufe nach sich ziehen.
Musterdepots & wikifolio
In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir diesmal über einen besonderen Verkauf. Die große Depotübersicht für Juli 2025 einschließlich der Bestandstabelle finden Sie in der Ausgabe Nr. 30. Im Musterdepotbereich können Sie sich durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich zu lesen, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.
Fazit
Es dauerte keine zwei Tage, bis der USA/EU-Deal zerredet wird. Ein Handschlag gilt in einer Superbürokratie wie der EU wenig bis gar nichts.
Ralf Flierl, Ralph Malisch
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Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.
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