Stagflation war gestern

Titelbild: © lassedesignen – stock.adobe.com

ARTIKEL TEILEN

Facebook
Twitter
LinkedIn
Email

Makrodaten nun auch offiziell negativ

Steuerplagiat

Die Deutschen galten einst als ein besonders erfindungsreiches Völkchen, das sich insbesondere in den Bereichen Chemie sowie Maschinen- und Fahrzeugbau bis an die Weltspitze vorarbeitete. Zwar scheint diese Ära dem Ende entgegenzugehen, aber wir wären nicht in Deutschland, wenn es nicht für jedes Problem auch eine „Lösung“ gäbe – heute im Zweifelsfall als neue Steuer. Nach dem Willen einiger Koalitionäre soll eine sogenannte Übergewinnsteuer das „Problem“ lösen, dass nicht alle Unternehmen unter dem Krieg um die Ukraine gleichermaßen litten, sondern einige auch kräftig profitierten. Namentlich die Öl- und Rüstungsindustrie werden in diesem Zusammenhang genannt. Das Konzept, soviel muss zum hiesigen Erfindungsreichtum angemerkt werden, stammt allerdings nicht aus Deutschland, sondern wurde u.a. bereits von den USA und Großbritannien während Kriegs- und Krisenzeiten angewendet. Wieso also selbst erfinden, wo man nur abzukupfern braucht?

Leistungslos und unethisch?

Die Marketingargumente für eine solche Steuer sind im Wesentlichen, dass die erzielten Gewinne nicht nur „leistungslos“ entstanden seien, sondern auch unethisch wären. Mit dem Argument der „Leistungslosigkeit“ könnte man buchstäblich bei jedem Geschäft mit starken Preis- oder Mengenspitzen zur fiskalischen Abschöpfung greifen. Warum also sollten nicht Eisverkäufer nach einem heißen Sommer, Brauereien nach einem gut besuchten Oktoberfest oder Bestattungsunternehmen nach einer erfolgreichen Impfkampagne eine solche Übergewinnsteuer entrichten? Zwar haben die Anbieter tatsächlich wenig Einfluss auf die äußeren Ereignisse, aber dennoch bedienen sie Kundenwünsche, erbringen also Leistung. Wie vorgeschoben das Argument ist, kann man daran erkennen, wie barmherzig der Fiskus mit jenen Unternehmen umgeht, bei denen trotz Leistung wenig hängengeblieben ist. Dann heißt es „unternehmerisches Risiko“, zu dem aber eben auch die unternehmerische Chance gehört. Gerade Geschäftsmodelle, für die solche Nachfragespitzen charakteristisch sind, gehen oft auch durch entsprechende Täler – eine verregnete Biergartensaison etwa. Gewiss, man kann Eiskugeln und Maßkrüge nur bedingt mit Panzern und Raketen vergleichen. Aber wenn die Herstellung letzterer so viel unethischer wäre, warum ist es dann genau die Politik, die solche Gerätschaften schlagartig in Mengen von den Unternehmen abfordert und damit Übergewinne überhaupt erst erzeugt?!

Gut gemeint

Auch bei den Ölkonzernen dürfte es die Politik selbst gewesen sein, die – vermutlich aus verhaltensökonomischer Unwissenheit – dort einen weiteren echten „Windfall Profit“ überhaupt erst produziert hat. Traditionell erhöhen die Ölmultis nämlich die Preise gerne zu Ferienbeginn, wohlwissend, dass kaum jemand deshalb die Fahrt in den Urlaub abbrechen wird. Diesmal waren die Preise allerdings schon im Vorfeld derart stark gestiegen, dass erstens kaum weiterer nennenswerter Erhöhungsspielraum bestanden haben dürfte, und zweitens alle diejenigen, die sich eine Ferienfahrt unter diesen Umständen nicht leisten wollten oder konnten, gar nicht erst an den Zapfsäulen aufgetaucht wären. Genau in dieser Situation griff nun die Regierung mit einem Tankrabatt ein (vgl. Smart Investor Weekly 22/2022), der praktisch vollständig verpuffte. Da die Kundschaft ohnehin schon an das erhöhte Preisniveau gewöhnt war, bestand für die Ölkonzerne wenig Anreiz, die Vergünstigung weiterzugeben. Gut gemeint ist eben das Gegenteil von gut gemacht.

Das Gegenteil von Ethik

Das eigentliche Motiv hinter einer neuen Steuer ist in der Regel ohnehin fiskalischer Natur. Und recht besehen ist es das glatte Gegenteil von Ethik, erst dann mit aufgehaltener Hand am Unternehmenstisch aufzutauchen, wenn das Unternehmen längst – und unter anderen Voraussetzungen – investiert hat, Risiken eingegangen ist und nach bereits reichlich entrichteten Steuern und Abgaben einen Erfolg vorweisen kann. Immer stärker wird allerdings ein weiteres Motiv, das der Steuerung. Dass bestimmte Branchen subventioniert, gar „gerettet“ werden, während andere mit Zusatzsteuern belegt werden, ist eine klare Verzerrung des Wirtschaftslebens, basierend auf subjektiven Werturteilen, die anmaßender Weise auch noch in den Rang einer Allgemeingültigkeit erhoben werden. Nicht einmal in der Union, der man vor der Ära Merkel eine gewisse Wirtschaftskompetenz zutrauen durfte, wird die Idee der Übergewinnsteuer einheitlich abgelehnt. Jens Spahn etwa, der vom Gesundheitsexperten zum Energieexperten mutierte Bankkaufmann, gab beispielsweise zu Protokoll, dass man „ungerechtfertigte Extragewinne von Ölmultis wie in Großbritannien mit einer Steuer abschöpfen“ müsse. Das Kernproblem, wer nach welchen Kriterien darüber entscheiden soll, welche Extragewinne gerechtfertigt sind, sah der gute Mann nicht einmal.

„Rezflation“?

Während diese Tendenz einer zunehmend politisch gesteuerten Wirtschaft erst nach und nach ihre negativen Wirkungen entfalten wird, steht die Stagflation bereits unmittelbar vor der Tür bzw. ist längst eingetreten. So warnte jüngst die Weltbank vor einer globalen Stagflation, was bemerkenswert für eine Organisation ist, die nach Meinung der Neue Zürcher Zeitung „in aller Regel nicht zu Alarmismus“ tendiere. Dabei arbeitete die Weltbank nicht nur Parallelen, sondern auch Unterschiede zur Stagflation der 1970er Jahre heraus. Der wesentlichste Unterschied ist vielleicht die Stärke des US-Dollars, während man sich auf andere Unterschiede nach unserer Auffassung besser nicht verlassen sollte. Dass etwa die Mandate der Notenbanken heute stärker auf Preisstabilität ausgerichtet seien, klingt nach der beispiellosen Geldmengenexpansion der letzten Jahre fast wie ein schlechter Witz, zumindest aber verdeutlicht es den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wenig verklausuliert geht Weltbank-Präsident David Malpass auch davon aus, dass „für viele Länder … eine Rezession nur schwer zu vermeiden sein“ wird. Damit dürfte das „Stag“ der Stagflation deutlich zu optimistisch sein, insbesondere auch für die ohnehin wachstumsschwache Eurozone. Die „Rezflation“ (Rezession & Inflation) ist nun auch von hochoffizieller Seite in die Diskussion eingeführt, auch wenn sie nicht so genannt wird.

Zu den Märkten

Was könnten diese Aussichten für „die“ Märkte bedeuten? Natürlich ist dies ein Umfeld, das eine Baisse rechtfertigen würde (vgl. Titelstory „Es grüßt der Bär“ im aktuellen Smart Investor 6/2022). Die Frage bei solchen fundamental begründeten Kursbewegungen ist allerdings immer, inwieweit diese bereits in den Kursen eingepreist sind. Betrachtet man die Stärke des DAX, wäre die Antwort „kaum“. Zwar vollzog der Index einen kurzen Abtaucher nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Allerdings wurde inzwischen schon wieder ein Großteil dieses Rückgangs egalisiert. Das will nicht recht zu den düsteren Einschätzungen der Weltbank oder den aktuell einlaufenden Konjunkturdaten passen. Die Frage ist also, warum sich die Marktteilnehmer derzeit nicht mit einer Einpreisung der schlechten Wirtschaftsaussichten anfreunden können? Dass bereits auf einen Waffenstillstand oder ein Ende des Ukrainekriegs spekuliert wird, erscheint eher unwahrscheinlich, da das Sanktionsregime gegen Russland aufrechterhalten bleiben dürfte, solange die territoriale Integrität der Ukraine nicht wiederhergestellt ist. Einzig über die „Getreidewaffe“ hätte Russland noch ein weiteres Pfund, mit dem es wuchern und Zugeständnisse bei den Sanktionen erreichen könnte, auch ohne vollständig aus der Ukraine abgezogen zu sein. Jüngste Äußerungen von Ex-US-Außenminister Kissinger legen nahe, dass die USA hier durchaus zu Zugeständnissen bereit sein könnten. Die 99jährige graue Eminenz der US-Geopolitik sprach ebenso überraschend wie unverhohlen davon, dass die Ukraine Gebiete an Russland abtreten solle. Ob hier bereits eine Verhandlungslösung skizziert wurde, ist im Moment aber höchst spekulativ.

Technisch bleibt der DAX weiter gefährdet. Der deutsche Leitindex verläuft unterhalb der massiven roten Widerstandszone (vgl. Abb.) sowie unterhalb der fallenden 200-Tage-Linie (blaugraue Linie), befindet sich also weiter in einem übergeordneten Abwärtstrend.

Unbrauchbarer Erfolgsmaßstab

Allerdings besteht das Stagflations- bzw. „Rezflations“-Szenario nicht nur aus einer rückläufigen Wirtschaft, sondern vor allem aus einem Verfall des Geldwertes. Unter Inflation verstehen die Austrians bekanntlich bereits die Aufblähung der Geldmenge und nicht erst deren Auswirkungen auf Asset- und Verbraucherpreise. Es muss als wohlfeiles Ablenkungsmanöver bezeichnet werden, wenn die aktuellen Preissteigerungen als alleinige Folge des Ukrainekriegs bezeichnet werden. Der Urgrund liegt in der Geldmengenausweitung durch die Zentralbanken, die auch schon bereits hinter den multiplen Asset-Blasen der vergangenen Jahre steckten. Der legendäre Wirtschaftsminister und frühere Bundeskanzler Ludwig Erhard, kein Austrian sondern ein unverdächtiger Ordoliberaler, brachte das Phänomen schon vor Jahrzehnten auf den Punkt: „Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ Und damit meinte er nicht die Kriegshandlungen in einem anderen Land. Der Verfall des Geldwertes drückt sich nicht nur im Inland in Form steigender Preise aus, sondern auch gegenüber dem Ausland in Form eines sinkenden Wechselkurses. Betrachtet man den DAX einmal aus der Perspektive eines US-Dollar-Investors (vgl. Abb., rote Kurve), sieht dessen Stärke gegenüber dem S&P 500 (vgl. Abb., schwarze Kurve) weit weniger eindrucksvoll aus. Der weiche Euro ist also derzeit kaum noch geeignet, reale Anlageerfolge zu messen.

Sollte sich die EZB also gegen den Euro-Verfall stemmen wollen, so könnte sie dafür schon die morgige Ratssitzung ins Auge fassen. Das Überraschungsmoment wäre dann zwar tatsächlich auf der Seite von Christine Lagarde, da der erste Zinsschritt erst für den Juli-Termin erwartet wird. Allerdings könnte eine solche Abweichung vom angedeuteten Plan an den Märkten auch als der verzweifelte Versuch interpretiert werden, sich nicht länger von der Entwicklung treiben zu lassen, sondern das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu bekommen. Nach der morgigen Ratssitzung wissen wir mehr.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über die Entwicklung in unseren Musterdepots sowie in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.

Fazit

Als ob die Mischung aus Inflation und den Gefahren einer Rezession nicht schon genug wäre, in Berlin wird nun auch noch laut über neue Steuern nachgedacht.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

Smart Investor 06/2022:

Titelstory: Es grüßt der Bär

Beteiligungsgesellschaften: Die Branche im Überblick – samt großem Tabellenwerk

Turnaround: Offshore-Ölservicesektor vor dem Comeback?

Healthcare & Biotech: Gute Eintiegschancen nach der Sektorrotation?

Hinweis auf mögliche Interessenkonflikte:
Ein mit “*“ gekennzeichnetes Wertpapier oder ein Derivat darauf wird zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikation oder der Smart Investor Printausgabe von mindestens einem Mitarbeiter der Redaktion gehalten.

Abonnements:
Unsere Smart Investor Abonnements finden Sie hier.

Das Magazin:
Das aktuelle Smart Investor Magazin finden unsere Abonnenten hier.

E-Mail-Versand:
Sollten Sie den E-Mail-Versand abbestellen wollen, so benutzen Sie bitte den Abmelde-Link unter dem Newsletter bzw. schicken uns eine E-Mail mit dem Betreff “Abbestellen des SIW” an
weekly@smartinvestor.de.

Unsere Datenschutzerklärung finden sie hier.

Die Charts wurden erstellt mit Guidants und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

Unsere Depotempfehlung: das Depot von smartbroker.de. Bereits ab 0 € Gebühren Wertpapiere handeln.

UNSERE EMPFEHLUNGEN