Ruhe vor dem Sturm

Titelbild: © NZP Chasers – stock.adobe.com

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… oder ist alles doch nur halb so schlimm?

Gute Zahlen, schlechte Zahlen

Die Berichtssaison ist in vollem Gang und wir wagen ein Zwischenfazit. Angesichts von Inflation, Anti-Inflationspolitik der Notenbanken und Ukrainekrieg war im Vorfeld bereits das Schlimmste befürchtet worden. Während US-Unternehmen vor allem unter der Straffung der Geldpolitik leiden, ist es bei deutschen Unternehmen vor allem der Krieg um die Ukraine und die Sanktionspolitik, durch die tiefe Bremsspuren in den Bilanzen erwartet wurden. Ganz so schlimm ist es diesmal allerdings noch nicht gekommen.

Unbekümmert trotz No-Gos

Apple Inc. liefert sich mit Saudi Aramco ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Titel des wertvollsten Unternehmens der Welt. Vergangenen Donnerstag vermeldeten die Kalifornier ihre Zahlen zum dritten Quartal (abweichendes Geschäftsjahr). Umsatz und Gewinn waren zwar gestiegen und lagen über den Erwartungen, aber die Wachstumsdynamik ließ nach. Zudem wollte man sich in Cupertino nicht zu einer konkreten Prognose hinreißen lassen. Nachlassende Dynamik und unklarer Ausblick sind gleich zwei No-Gos, die die Märkte unter normalen Umständen abstrafen würden. Nicht so bei Apple, die in vielerlei Hinsicht ein Solitär sind, der nicht immer mit üblichen Maßstäben gemessen wird. Der Aktienkurs machte am Freitag jedenfalls einen kleinen Freudensprung (vgl. Abb.) und legte um mehr als 3% auf über 160 USD zu. Damit hat der iPhone-Konzern die Juni-Tiefs von unter 130 USD schon wieder deutlich hinter sich gelassen und notiert auf Niveaus wie vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine. Das Thema scheint für Apple nur „über Bande“ relevant zu sein, als der Krieg als zusätzlicher (!) Inflationstreiber wirkt und selbst der Apple-Kundschaft das Geld aktuell nicht mehr ganz so locker zu sitzen scheint.

Herausragende Stellung in schwieriger Zeit

Allerdings verfügt Apple über eine starke Marktstellung und damit über Preissetzungsmacht, was in einem inflationären Umfeld ein großer Pluspunkt ist. Selbst wenn die US-Notenbank Erfolge bei der Inflationsbekämpfung erzielen sollte, dürfte das Unternehmen so schnell keine Preisanpassungen nach unten vornehmen – falls überhaupt. Ebenfalls über eine herausragende Marktstellung verfügt unser Musterdepotwert Amazon, wie auch die jüngsten Preiserhöhungen bei den Prime-Angeboten gezeigt haben. Aber auch Amazon ist mit einer schwächelnden Konjunktur und einer schwindenden Ausgabelaune der Verbraucher konfrontiert. Die ebenfalls am Donnerstag vermeldeten Q2-Zahlen zeichneten ein gemischtes Bild. Das Ergebnis konnte die Erwartungen zwar nicht erfüllen, dafür entwickelten sich die Umsätze besser als vermutet. Für die Marktteilnehmer war dies offensichtlich die entscheidendere Zahl, denn die Aktie sprang am Freitag um mehr als 10% nach oben und machte die Amazon-Aktionäre um mehr als 120 Mrd. USD reicher. Es sei ihnen gegönnt, denn von November bis Mai hatte die Aktie mehr als 46% oder rund 860 Mrd. USD an Marktkapitalisierung verloren. Hintergrund des jüngsten Kurssprungs ist damit auch, dass die Marktteilnehmer derart negativ vorgespannt waren, dass bereits akzeptable Zahlen für Erleichterung sorgten.

Der Besuch der alten Dame

Eine weitere krisenhafte Zuspitzung zeigt sich aktuell um Taiwan. Der Konflikt ist mehr als ein Jahrhundert alt und darf als bekannt vorausgesetzt werden. Seit 1912 sieht sich die Republik China als souveräner Staat, was allerdings die Volksrepublik China seit dieser Zeit bestreitet. Über Jahrzehnte hatte man einen Modus gefunden, der es beiden Seiten erlaubte zu prosperieren, ohne in dieser Frage eine Lösung finden zu müssen oder gar zu erzwingen: We agree to disagree. Nun also der Besuch von Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, auf dem Inselstaat, den die Volksrepublik als schwere Provokation bewertet, was Frau Pelosi selbstverständlich bewusst war. Eigentlich war diese Provokation bzw. das Abtasten der chinesischen Seite der wesentliche Zweck der Reise. Gut möglich, dass die Volksrepublik China mit Vergeltungsmaßnahmen bis nach der Abreise Pelosis wartet, weil man derzeit kein Interesse an einer direkten militärischen Konfrontation mit den USA hat. Dass China die Sache einfach auf sich beruhen lassen wird, erscheint dagegen unwahrscheinlich. Würden den, zum Teil harschen Drohungen keine Aktionen folgen, liefe die chinesische Führung Gefahr, als bloßer Papiertiger wahrgenommen zu werden. Die Angelegenheit ist also brandgefährlich, zumal der Krieg um die Ukraine zeigt, dass im geopolitischen Schachspiel zwischen USA/NATO auf der einen und China/Russland auf der anderen Seite, auch die militärische Auseinandersetzung wieder als Option angesehen wird. Für den Westen wäre ein verschärfter Konflikt um Taiwan auch insofern ein Problem, da, wie das US-Finanzmagazin Barron’s im Vorfeld des Pelosi-Besuchs schrieb, die meisten modernen Chips der Welt in Taiwan hergestellt werden. Taiwan Semiconductor ist der börsennotierte Platzhirsch in diesem Bereich. Der Kursverlauf veranschaulicht die enorme politische Belastung, die auf den Zukunftsaussichten eines an sich hervorragenden Unternehmens ruht.

Gazprom – Never ending Story

Aufgrund des großen Leserinteresses zu unserem Musterdepotwert Gazprom geben wir hier ein Update zur Lage: Vorweg sei angemerkt, dass es sich aufgrund von Sanktionen und Gegenmaßnahmen um eine Situation handelt, die ständigen, auch sprunghaften Veränderungen unterworfen ist, was entsprechend auch zu einer schlagartigen Überholung von Einschätzungen führen kann. Für sinnvoll halten wir es, sich bei der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. mittels des Newsletters zu russischen Wertpapieren/Fonds auf dem Laufenden zu halten. Sie können hier im rechten Teil der Seite die bislang erschienenen Newsletter aufrufen. Wie sehr die Sache in Bewegung ist, können Sie daran erkennen, dass die SdK am vergangenen Freitag den Newsletter Nr. 11 publizierte und diesen Montag gleich den Newsletter Nr. 12. Ebenfalls sehr interessant ist der Mitschnitt einer Expertenrunde der SdK zum Thema vom 22.7.2022 (vgl. Screenshot am Anfang dieses Abschnitts), der auf Youtube publiziert wurde. Auch kann es lohnenswert sein, der SdK beizutreten, da von dort nur Anfragen von Mitgliedern beantwortet werden können.

Die gute Nachricht vorweg: Der russische Wertpapierverwahrer NSD hat die gebührenfreie Umtauschfrist bis 14.8. verlängert, worauf auch Clearstream als zuständiger Verwahrer der ADRs hingewiesen hat. Nach wie vor ein Problem ist das sehr unterschiedliche Verhalten der hiesigen Depotbanken. Zwischen echter Hilfestellung und Totstellen haben Anleger schon alle möglichen Reaktionen erfahren.

Für die Inhaber der ADRs gibt es vom Grundsatz her drei Verfahren:

  1. Keine Reaktion: Es erfolgt ein Zwangsumtausch der ADRs in russische Aktien, da die ADR-Programme gekündigt wurden. Anschließend werden die Aktien verkauft und die Erlöse abzüglich Gebühren gutgeschrieben. Noch ist nicht klar, an welcher Börse dies erfolgen wird bzw. kann (Zulassung?), und welche Kurse dabei erzielt werden, falls im Extremfall ein großer Block an Aktien auf den Markt geworfen wird.
  2. „Clearstream-Verfahren“: Hier werden die ADRs auf Initiative des Anlegers umgewandelt und dann in ein russisches Depot eingebucht. Von dort kann dann der Verkauf erfolgen, sofern diese Stücke für den Handel an der Moskauer Börse zugelassen werden. Erste große Hürde ist hier, dass ein russisches Depot eröffnet werden muss. Die Frist für diesen Weg ist nach der nun erfolgten Verlängerung der 14.8.22. Im Internet werden weitere Wege angeboten, die aber von der SdK nicht einmal erwähnt werden. Prüfen Sie also bitte genau.
  3. „Russisches Verfahren“:  Nach dem 6. EU-Sanktionspaket vom 3.6.22, in das die russische NSD aufgenommen wurde, hat die russische Duma am 29.6. einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen Umtausch der ADRs ohne Bezugnahme auf ausländische Infrastruktur ermöglichen soll. Der Weg wird in dem oben angeführten SdK-Video erläutert. Allerdings ist dieser Weg mit Kosten verbunden, die im Einzelfall abgewogen werden müssen. Frist für diesen Weg ist der 12.10.22. Näheres zu diesem Verfahren finden Sie auch in diesem Beitrag aus der Börsen-Zeitung.

Für welchen der drei Wege man sich entscheiden sollte, dürfte in erster Linie von der Größe der ADR-Position abhängig sein. Bei sehr kleinen Positionen würden wir die erste Alternative „Keine Reaktion“ wählen, da jeder andere Weg mit Aufwand und letztlich ebenfalls mit einem ungewissen Ausgang verbunden ist. Allerdings wird sich im Falle des Zwangsumtauschs der Gazprom-ADRs auch die Bank of New York Mellon einen Gebührenanteil herausschneiden. Die Wege 2 („Clearstream-Verfahren“) und 3 („russisches Verfahren“) setzen ein russisches Wertpapierdepot voraus. Ob sie zielführend sein werden, lässt sich aufgrund der raschen Veränderungen der Situation nicht voraussagen. In jedem Fall halten wir es hier für empfehlenswert, SdK-Mitglied zu sein, um so in der Sache mit geeinter Stimme auftreten zu können, oder die Dienstleistung einer spezialisierten Kanzlei in Anspruch zu nehmen. Auch hier bietet die SdK in dem erwähnten Video (s.o.) einen vergleichsweise kostengünstigen Weg an. Eine individuelle Vertretung durch einen spezialisierten Fachanwalt dürfte dagegen erst bei sehr großen Positionen sinnvoll bzw. möglich sein. Wir werden den Fortgang weiter verfolgen und rechnen für unser Musterdepot mit der ungünstigeren Variante aus Weg 1 und Weg 2, um uns hier nicht besser zu stellen als das, was in der Praxis realistisch erreichbar ist.


Zu den Märkten

Erstaunlich gelassen reagierten die Märkte bislang auf das Säbelrasseln in Taiwan und die ständigen Warnungen vor einem harten Winter. Natürlich nimmt der Markt nicht alle Warnungen für bare Münze. Wenn etwa der Chefberater von Finanzminister Christian Lindner, Lars Feld, davon spricht, dass die konjunkturellen Rückschläge im ersten Halbjahr 2022 nur der Anfang gewesen seien, dann tut er dies auch, um das düstere Szenario mit der Forderung nach einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu verbinden, was entsprechende Entlastung bringen soll. Wir interpretieren das Marktgeschehen im Moment jedenfalls so, dass ein flächendeckender Blackout im Moment nicht eingepreist wird. Tatsächlich hat sich die Situation im DAX sogar geradezu lehrbuchmäßig mit einem Anziehen der Kurse nach oben aufgelöst – und das trotz der Belastungsfaktoren aus Wirtschaft und Geopolitik (vgl. Smart Investor Weekly vom 27.7.22). Der übergeordnete Abwärtstrend ist allerdings dennoch weiter intakt.


Herbstzeit = Messezeit

Zwar hat der August gerade erst begonnen, aber der Messeherbst wird am Horizont bereits sichtbar. Den Anfang macht das SRC Forum Financials & Real Estate 2022, das am 13. September in Frankfurt am Main bereits zum 19. Mal stattfinden wird. Auch dieses Jahr wird sich eine Vielzahl von namhaften Unternehmen des Immobilien- und Private Equity Bereichs aus dem deutschen Sprachraum präsentieren. Nähere Informationen finden Sie auf der Website des Veranstalters.

Im Oktober steht dann ein „österreichischer Herbst“ ins Haus. In diesem Monat finden drei (!) Konferenzen rund um das Thema Geldanlage und die Ideen der Austrians statt: Die World of Value Investmentkonferenz am 1.10. in Frankfurt am Main, die Jahreskonferenz 2022 des Ludwig von Mises Instituts unter dem Titel „Die Freiheitskultur des Westens“ am 8.10. in München und die „k.u.k. Anlegertagung“ des Instituts für Austrian Asset Management (IfAAM) unter dem Titel „Go East!“ am 29.10. in Budapest. Wir werden Sie im Vorfeld der Tagungen noch ausführlich informieren.

Musterdepots & wikifolio

In der Rubrik Musterdepots & wikifolio berichten wir heute über unsere Käufe und über die Entwicklung in unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. Sie können sich dort durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.

Fazit

Nachdem in der Vorwoche Alphabet die Anleger noch enttäuschte, sorgten Apple und insbesondere Amazon wieder für fröhlichere Gesichter. Dennoch bleibt die geopolitische Lage höchst angespannt, weshalb aus dieser Ecke jederzeit mit Störfeuer zu rechnen ist.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

Smart Investor 08/2022:

Titelstory: Deutschlands Niedergang

Growth: Wachstumssektor vor Comeback?

Infrastruktur: Risikoarme Investments mit Rendite

Wasserstoff: Technologie mit guten Aussichten

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Die Charts wurden erstellt mit Guidants und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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